Zuchtstrategien


Künstliche, gerichtete Selektion

Bei der Zucht von Rassekaninchen wird ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild der einzelnen Individuen gemäß einer Standardbeschreibung angestrebt. Nach der Anerkennung einer Rasse durch einen Zuchtverband erfolgt der Erhalt oder die Verbesserung spezifischer, diskreter (monogen basierter) oder quantitativer (polygen basierter) Merkmale durch fortgeführte positive Selektion, teilweise bis hin zur Fixierung von verantwortlichen Genvarianten ("Reinzucht") - insbesondere von Genen, die Haarfarben, Haarlängen oder -strukturen bestimmen. Als Ausnahmen seien die Farben eisengrau, marderfarbig, Englische Scheckung/ Punktscheckung sowie der Zwergfaktor genannt, bezüglich derer der gewünschte Typ mischerbig ist. 


Inzucht

Eine schnelle Festigung bestimmter, erblicher Merkmale innerhalb einer Zucht-Population kann durch Linienzucht erreicht werden, die eine spezielle Zuchtform der Inzucht darstellt. Für die Verpaarung verwandter Tiere gilt dabei folgendes, grobes Schema:

  • enge Inzucht, "Inzestzucht": Verpaarung von Vater mit Tochter, Sohn mit Mutter oder Bruder mit Schwester
  • mäßige Inzucht: Verpaarung von Großvater mit Enkelin, Enkel mit Großmutter, Halbbruder mit Halbschwester, Onkel mit Nichte oder Neffe mit Tante
  • schwache Inzucht: Verpaarung von Cousine mit Cousin oder von weiter entfernt verwandter Tiere.

Auch unerwünschte, diskrete Merkmale können durch Inzucht schnell sichtbar (Reinerbigkeit rezessiver Allele) und aus der Population selektiert werden ("negative Selektion"; siehe auch Derks & Steensma 2021).



INZUCHT

Definition: Anteil aller Genorte des Genoms eines Individuums, dessen Allele durch Abstammung identisch sind. In einer Population wird das Ausmaß der Inzucht durch Mittelung aller individuellen Inzucht-Werte ermittelt (Ballan et al. 2022b)



Unmittelbare Konsequenz von Inzucht ist jedenfalls die Reduktion von genetischer Vielfalt.


Inzuchtschäden

Aus einer andauernden Inzucht resultiert ein Übermaß an Homozygotie im Gesamtgenom, welches immer weniger Ansatzpunkte für eine positive Selektion erlaubt und sich schließlich in Inzuchtdepressionen äußert: Körperliche Degeneration, sowie Reduktion von Fruchtbarkeit, Fitness, Vitalität oder Anpassungsvermögen/ Krankheitsresistenz*.
*: Siehe dazu: Versuche zu Inzucht und Fremdzucht bis zur 5. Generation in: Joppich 1969, S. 263-264

Ein hohes Inzuchtniveau wird vor allem dann zur Gefahr, wenn keine nicht-verwandten, d.h. genetisch differenzierten Teilpopulationen (z.B. mindestens fünf Generationen lang keine gemeinsamen Ahnen) mehr vorhanden sind, mit deren Hilfe sich die Inzucht relativieren lässt. Der Aufbau einzelner Inzuchtlinien kann langfristig nur im Rahmen einer übergeordneten Zuchtstrategie funktionieren, die eine Balance zwischen Konsistenz (Fixierung von DNA-Sequenzen) und Vielfalt des Genpools einer Rasse anstrebt (➭ kontrollierte Zucht in Zuchtorganisationen). 

"Die Gefahr der Inzucht besteht darin, rezessive Gene mit schädlichen Auswirkungen zu fixieren." (Roy Robinson 1990; The Daily Telegraph, 08.09.1990, sinngemäß übersetzt)


Erhaltungszucht

Hauskaninchen stammen - im Gegensatz zu anderen Haustieren, wie Rinder, Schafe oder Hühner - wahrscheinlich nur von einer einzigen Unterart des Europäischen Kaninchens ab. Im Laufe der Domestikation und besonders im Zusammenhang mit der Rassenbildung hat der Mensch die genetische Zusammensetzung der Hauskaninchen durch künstliche Selektion verändert. Im Vergleich zur ursprünglichen Wildpopulation weisen sie eine reduzierte genetische Vielfalt auf, mit einer weiteren, starken geno- (und phäno)typischen Differenzierung zwischen den einzelnen Rassen. Als Konsequenz der standardisierten Rassekaninchenzucht sind sich Individuen, die einer bestimmten Rasse angehören, genetisch eher den Tieren ihrer eigenen Rasse als den Tieren anderer Rassen ähnlich (rassespezifische Genpools) (Alves et al. 2015; Ballan et al. 2023).

Die Differenzierung von Kaninchenrassen begann erst im 18. Jahrhundert; sie ist historisch betrachtet also eine relativ junge Entwicklung. Nach einer Hoch-Zeit der Rassekaninchenzucht im 20. Jahrhundert sind mittlerweile einige der anerkannten Rassen in ihrem Bestand mehr oder weniger stark gefährdet. Um die spezifischen Genpools dieser Rassen langfristig bestmöglich zu erhalten, bzw. einer weiteren genetischen Verarmung entgegenzuwirken, sind Strategien gefragt, welche die jeweils etablierte genetische Vielfalt in ihrer Gesamtheit berücksichtigen. 

Voraussetzung ist ein umfassendes Wissen über die Historie (Gründertiere; Buchvorschläge unter Kaninchenrassen) sowie die räumliche Struktur (geographisch voneinander isolierte Subpopulationen oder auch "Blutlinien") der einzelnen Rassen.  

Nützliche Werkzeuge für das effektive Management und damit die Erhaltung einer Rasse sind:

  • kontinuierliche Bestandserhebung der Zuchttiere zur Beurteilung der effektiven Populationsgröße (z.B. via Vereinszuchtbuch oder Herdbuch)
  • Beurteilung von Stammbäumen, bzw. Verwandtschaftsverhältnissen mittels Berechnung von klassischen Inzuchtkoeffizienten oder Ahnenverlustkoeffizienten (mit herkömmlichen, dezentral geführten Zuchtbüchern eher nicht sehr genau - moderne digitale Anwendungen bieten sich für eine optimierte, vernetzte Zuchtbuchführung an; z.B. werden Tiere aus Herdbuch- oder Erhaltungszucht innerhalb des ZDRK mittels einer "Herdbuch-Cloud" erfasst, und auch Vereinszuchtbücher könnten in Zukunft digitalisiert werden) 
  • alternativ: Populationsgenomik - Identifikation und Beurteilung spezifischer chromosomaler Bereiche ("selection signatures") mittels genetischer Marker und Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung (Genotypisierung), sowie Berechnung genomischer Inzuchtparameter; bei Kaninchen bisher nur - mit Einschränkungen - für Forschungszwecke etabliert; eine routinemäßige Anwendung von Genotypisierungen steckt sozusagen noch in den Kinderschuhen, bzw. wäre vermutlich mit relativ hohen Kosten verbunden (Carneiro et al. 2014; Alves et al. 2015; Barbato et al. 2015; Kardos et al. 2015; Wang 2016; Fontanesi, Bovo & Schiavo 2021; Ballan et al. 2022; Ballan et al. 2022b; Ghildiyal et al. 2022; Ballan et al. 2023).

Insbesondere bei Rassen mit einer geringen Zuchtbasis empfiehlt es sich, eine übertriebene positive Selektion auf ästhetische Merkmale zu vermeiden und möglichst viele Vatertiere in der Zucht einzusetzen. Auch der Verzicht auf eine streng getrennte Farbzucht wäre möglich (ggf. Zusammenlegung ähnlicher Rassen, die sich im Wesentlichen in diskreten Merkmalen, insbesondere der Farbe, unterscheiden).
Es gilt, spezifisch zugeschnittene Lösungsansätze für gefährdete Rassepopulationen zu erarbeiten.


In Ergänzung zur Lebenderhaltung kann die Kryokonservierung eine wichtige unterstützende Maßnahme darstellen.



Bücher zum Thema:

  • D. P. Sponenberg, J. Beranger, A. Martin & C. Couch, Managing Breeds for a secure future - Strategies for Breeders and Breed Associations, ISBN-13‎: 978-1789181647;
  • W. Stephan & A. C. Hörger - Molekulare Populationsgenetik: Theoretische Konzepte und empirische Evidenz, ISBN-13‎: 978-3662594278 (fortgeschrittene Grundkenntnisse in Genetik und Molekularbiologie erforderlich).

Kurz und ganz allgemein erklärt

Inzucht - Verpaarung von Tieren, die näher miteinander verwandt sind als der Durchschnitt einer Rasse (Verlust von genetischer Variabilität)

Kreuzungszucht / Auszucht - Verpaarung von Tieren, die weniger miteinander verwandt sind als der Durchschnitt einer Rasse (Einbringen von genetischer Variabilität);
eine Auszucht erfolgt innerhalb einer Linie (z.B. fünf bis sechs Generationen lang keine gemeinsamen Ahnen), wohingegen bei einer Kreuzungszucht ein liniengezüchtetes Tier mit einem genetisch differenzierten, d.h. möglichst nicht verwandten Tier (z.B. einer anderen Linie derselben Rasse) verpaart wird  

"Durchgezüchtet" - Rassen mit reduzierter genetischer (bestimmte Allele oder Haplotypen sind fixiert) und in Folge phänotypischer Variabilität (ggf. erhöhtes Risiko für gesundheitliche Einbußen)



Je kleiner eine Population, umso größer ist bei den Nachkommen die Wahrscheinlichkeit für eine Fixierung (Frequenz 100%) oder für einen Verlust (Frequenz 0%) von Allelen - beides führt zu einem Verlust der genetischen Variabilität.



Eine gewisse genetische Variabilität ist fundamental für die langfristige Gesundheit einer Population, bzw. einer Rasse!


Wird dies berücksichtigt, kann selektive (Rasse-)Zucht entscheidend zur Widerstandsfähigkeit gegenüber (lokalen) Umwelt- und Gesundheitsrisiken beitragen.

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