ABGABEZEITPUNKT UND KASTRATION


Abgabezeitpunkt

Die natürliche Säugezeit von Kaninchen beträgt ca. 5 bis 6 Wochen. Die Jungen werden in der Regel nur ein- bis zweimal pro Tag gesäugt. Den Rest des Tages beschützt das Muttertier mit etwas Entfernung zum Nest zwar ihre Jungen, ignoriert sie aber ansonsten weitgehend. Ab der 3. Lebenswoche beginnt bereits der Übergang zu fester Nahrung, und spätestens ab einem Alter von 8 Wochen sind Jungtiere selbstständig, d.h. nicht zwingend mehr auf das Muttertier angewiesen.
Etwa bis zur 4. Lebenswoche sind junge Kaninchen durch Antikörper aus der Plazenta sowie aus der Muttermilch gegen Krankheiten geschützt. Danach nimmt die Wirksamkeit dieses angeborenen, mütterlichen Immunsystems ab, und die Jungen müssen ein eigenes Immunsystem aufbauen. Folglich besteht bis zu einem Alter von 10 bis 12 Wochen eine "Immunitätslücke". In dieser Zeit sind Jungtiere durch jede Art von Stress gefährdet, z.B. dem Fehlen essentieller Nährstoffe im Futter oder auch Veränderungen in der Haltung, die mit der Auseinandersetzung mit neuen, fremden Keimen einhergehen (aus: Rühle 2019/45 und 2019/46 ).
Vorausgesetzt, es findet keine abrupte Futterumstellung statt, kommen gesunde Jungtiere mit einem Umzug ab einem Alter von ca. 8 Wochen meist problemlos zurecht, insbesondere, wenn dieser gemeinsam mit einem bereits bekannten Kaninchen (z.B. Geschwistertier) erfolgt.



Kastration

Aus folgenden Gründen darf in Österreich eine Kastration von Kaninchen vorgenommen werden:

  • aus medizinischen Gründen (NACH Befund)
  • zur Vermeidung der unkontrollierten Fortpflanzung
  • "Soweit tierärztliche Bedenken nicht entgegenstehen - zur weiteren Haltung" (z.B. um eine dauerhafte gemeinsame Haltung von zwei oder mehreren Rammlern zu ermöglichen)

(TierSchG § 7).

Aufgrund der beschriebenen Immunitätslücke (auch eine Kastration bedeutet Stress), sowie dem Einfluss der Sexualhormone auf den Mineralstoffwechsel (Knochendichte) insbesondere bei Kaninchen im Wachstum, sollte eine Kastration prinzipiell so spät wie möglich erfolgen. 


Rammler

Weil bei Kaninchen die Geschlechtsreife ab einem Alter von ca. 12 Wochen beginnen kann, ist bei einer Liebhaberhaltung eine Kastration von Rammlern etwa in der 11. oder 12. Lebenswoche zu empfehlen. Bei der gemeinsamen Haltung von ausschließlich Rammlern kann sie unter sehr guter Beobachtung (!) auch noch etwas später stattfinden, z.B. bis zum Ende des vierten Lebensmonats.
Darüber hinaus, bzw. mit Einsetzen der Pubertät* erhöht sich das Risiko für aggressive Auseinandersetzungen zwischen intakten Rammlern stark! *: Anzeichen: zunehmendes Markierverhalten (Kinnreiben, Verspritzen von Harn), veränderter Geruch oder rasseabhängig die beginnende Ausprägung des typischen Rammlerkopfs.

Die Rammlerkastration ist ein verhältnismäßig kleiner Eingriff und verheilt meist problemlos innerhalb weniger Tage. Eine separate Unterbringung im Anschluss an die Kastration ist nicht notwendig. Ausnahme: bei Rammlern, welche zuvor bereits erfolgreich gedeckt haben, ist eine anschließende Trennung von zeugungsfähigen Häsinnen von etwa sieben Tagen sinnvoll (aus: Rühle 2018 "Die Kastration von Kaninchen Teil 4: Kastrationsfristen"). Möglicherweise gibt es jedoch auch Rammler, die noch zu einem späteren Zeitpunkt deckfähig sind; aufgrund unzureichender Nachweise ist eine allgemeingültige Empfehlung schwierig. 

Mehr zum Thema: 
https://www.wikikanin.de/kastrationsfrist 


Häsinnen

Bei Häsinnen wird der Eisprung durch eine externe Stimulation induziert, z.B. Aufreiten (Deckakt, Markierverhalten) oder intensives Streicheln. Auch die bloße Nähe eines potenten Rammlers, sowie Ernährung, Lichtverhältnisse oder Temperatur können Einfluss auf die Deckbereitschaft haben.
Erfolgt ein Eisprung ohne anschließende Befruchtung, so kann der veränderte Hormonhaushalt eine Scheinträchtigkeit auslösen, die sich in einer Verhaltensänderung (Nestbau, Territorialverhalten, ggf. verändertes Fressverhalten) und Gesäugeanbildung äußert und zwei bis drei Wochen andauern kann. Bei einer gesunden Häsin (ohne Kontakt zu einem potenten Rammler) sind etwa zwei Scheinträchtigkeiten pro Jahr - z.B. im Frühjahr und im Herbst - als normal anzusehen.
 

Verschiedene Stressoren können ein Ungleichgewicht des Hormonhaushalts und in Folge häufigere Scheinträchtigkeiten bewirken und auch das Risiko für Erkrankungen (z.B. Krebs) erhöhen. Dazu zählen Nährstoffmangel, Bewegungsmangel, Disharmonie in der Gruppe oder Erkrankungen der Geschlechtsorgane. Iorgini et al. (2023) stellten eine Beteiligung von Bakterien der Gattung Pasteurella an Erkrankungen des Fortpflanzungsapparats fest.
Im Allgemeinen steigt das Risiko für die Entstehung einer Gebärmuttererkrankung, insbesondere von Neoplasien*, mit zunehmendem Alter und unabhängig davon, ob es sich um ein Heimtier oder um ein Zuchttier handelt (Robinson 1958; Fiefstück 2014; Asakawa et al. 2008; Settai et al. 2020; Bertram et al. 2021; Mäkitaipale et al. 2022)
*: gut- oder bösartige, abnorme Neubildung von Körpergewebe durch eine Fehlregulation des Zellwachstums

Welchen Einfluss genetische Besonderheiten in diesem Zusammenhang haben, ist bisher nicht ausreichend erforscht. Stilling (1913) konnte zwar eine familiäre Disposition feststellen, allerdings standen ihm über mehrere Jahre hinweg nur 13 Kaninchen mit Tumorerkrankungen zur Verfügung. Auch in Greene (1941) finden sich Hinweise, dass eine erhöhte Anfälligkeit für Uterustumore vererbt werden kann (siehe auch: Robinson 1958).

Prinzipiell sind Röntgenaufnahmen für eine schnelle Verdachtsdiagnose hinsichtlich möglicher Gebärmuttererkrankungen gut geeignet; ergänzend kann eine Sonographie durchgeführt werden. Auf diese Weise dargestellte Veränderungen lassen sich jedoch häufig NICHT einer bestimmten Erkrankung zuordnen - zuverlässige Aussagen bieten erst histopathologische Untersuchungen (Lübke 2018).  

Bei einer angedachten Häsinnenkastration (i.d.R. inklusive Entfernung der Gebärmutter) OHNE medizinische Notwendigkeit sollten folgende Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden.

  • Der Eingriff an sich birgt ein gewisses Risiko und erfordert eine angemessene Nachsorge.
  • Geschlechtshormone beeinflussen direkt das Immunsystem.
  • Geschlechtshormone haben einen positiven Einfluss auf den Knochenstoffwechsel - eine Kastration kann die Knochenfestigkeit signifikant verringern und in weiterer Folge z.B. Zahnprobleme begünstigen (aus: Rühle 2017 "Die Kastration weiblicher Kaninchen"; Rühle 2020/63; Rühle 2021/73; siehe auch: Mano et al. 1996; Gilsanz et al. 1988).
  • Eine Kastration kann Übergewicht und daraus resultierende Erkrankungen begünstigen, z.B. Pododermatitis (Adji et al. 2022; siehe auch Rühle 2023, FB "Kaninchen würden Wiese kaufen", Beiträge 10/2023 oder https://www.wikikanin.de/pododermatitis).
  • Eine Kastration begünstigt verstärktes (Unter-)Haarwachstum und kann demnach den Pflegeaufwand erhöhen.
    Bei kastrierten Angorakaninchen-Rammlern wurde ein erhöhter Wollertrag im Vergleich zu unkastrierten Rammlern beobachtet; Angorakaninchen-Häsinnen hatten in diesem Vergleich den höchsten Wollertrag (Mayer 1789 und Bährens 1796, zitiert nach Möbes 1946; Joppich 1969).
  • Faktoren wie Konstitution (Haltungsform) und Ernährung beeinflussen die Gesundheit und können eine Rolle bei der Entstehung von (Gebärmutter-)Krebs spielen. Besonders die in grünen Pflanzen enthaltenen Senfölglykoside haben nachweislich antibakterielle und krebshemmende Eigenschaften. Sie kommen in Mitteleuropa überwiegend in Kreuzblütlern vor: z.B. Kohlgemüse, (Meer-)Rettich, Radieschen, Knoblauch, Senf, Raps, Rucola, Kresse, Kapuzinerkresse, verschiedene Wildkräuter (z.B. Knoblauchsrauke, Hirtentäschel, Wiesen-Schaumkraut). Auch sekundäre Pflanzenstoffe in Beerenfrüchten oder omega-3-Fettsäuren z.B. in Leinsamen wirken effektiv gegen Krebszellen. Regelmäßig angeboten legen solche Futtermittel den Grundstein, um die Gesundheit bestmöglich zu unterstützen (Béliveau & Gingras 2017).
    Anmerkung: Die Aussagekraft retrospektiver Studien zur Ermittlung von Prävalenzen kann eingeschränkt sein - mögliche Stressoren wie Haltungs- oder Ernährungsfehler werden nicht zwingend berücksichtigt (z.B. Settai et al. 2020; Bertram et al. 2021).
  • Allein ein vom Halter unerwünschtes Normalverhalten ist KEIN Grund für eine Kastration.

Eine Kastration (von Häsinnen) sollte nie pauschal erfolgen, sondern immer eine Einzelfallentscheidung sein. Für eine Kastration aus "verhaltenstherapeutischer" Sicht müssen die Vor- und Nachteile für das individuelle Tier gründlich abgewogen werden!


Mehr zum Thema:

Rühle 2018 "Die Kastration von Kaninchen Teil 1Teil 2Teil 3: Die Studien von Greene / Teil 5: Kastrationsrisiko"

Rühle 2018 "Ausgewählte Literatur zum Thema "Inzidenz der Uterustumore bei Kaninchen"; 

https://www.wikikanin.de/kastrationsfolgen;

https://www.wikikanin.de/immunsystem.


Empfehlung zum Weiterlesen:
Evans, I., Thornton, H., Chalmers, I., & Glasziou, P. (2013). Wo ist der Beweis. Plädoyer für eine evidenzbasierte Medizin. Deutsche Ausgabe herausgegeben von Gerd Antes, 1. (PDF Download)

10 Wochen alte Perlfeh-Jungtiere
10 Wochen alte Perlfeh-Jungtiere

Junge Kaninchen beginnen bereits vor beginnender Geschlechtsreife* mit gegenseitigem Aufreiten. Dabei handelt es sich noch um ein spielerisches Dominanzverhalten oder dient dem Markieren von Gruppenmitgliedern mit dem Sekret aus den Inguinaldrüsen (Geschlechtsecken) - in der Regel steht es noch nicht direkt in einem sexuellen Zusammenhang.
*: Kaninchen können ab einem Alter von ca. 12 Wochen geschlechtsreif werden. Ab diesem Zeitpunkt sind Häsinnen und intakte Rammler getrennt voneinander zu halten. Einen Einfluss auf die sexuelle Entwicklung können z.B. der Zeitpunkt der Geburt (Saison) oder die Entwicklung des Körpergewichts haben. Insbesondere bei Zwergkaninchen kann es frühreife Ausnahmen geben.

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