Kaninchen Genom

Genetik und Vererbung

Historie

Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Vererbung von bestimmten Merkmalen beim Kaninchen - z.B. Haarfarben, Haarstrukturen oder Zwergwuchs - mittels klassischer Zuchtexperimente untersucht. Aus jener Zeit stammt eine Nomenklatur, die auch heute noch geläufig ist, z.B. 

A, B, C, D, G oder K (englisch: C, E, B, D, A oder En

als Synonyme für einige Genorte der Farbausprägung.

Nach der Strukturaufklärung der DNA (Franklin & Gosling 1953; Watson & Crick 1953) und dank den folgenden methodischen Fortschritten in der Genforschung konnten mittlerweile bereits zahlreiche kausale Varianten für bestimmte Phänotypen auf molekularer Ebene identifiziert und charakterisiert werden. 


 

Gene und Genom

Die Erbinformation eines jeden Organismus wird in Desoxyribonukleinsäure (DNA) gespeichert, welche in fadenförmigen Molekülen, den Chromosomen, strukturiert ist. Das Genom von Kaninchen besteht aus 2n=44 Chromosomen - 21 Autosomen (in doppelter Ausführung) und die Geschlechtschromosomen X und Y (Painter 1926; Melander 1956; Nicols et al. 1965; Fontanesi 2021b). 
Die einzelnen Bausteine der Chromosomen werden als Nukleotide bezeichnet. Deren Reihenfolge (Sequenz) bestimmt maßgeblich die Genprodukte, die schließlich für die meisten Aktivitäten in den Körperzellen verantwortlich sind: Proteine oder nicht-codierende Ribonukleinsäuren (ncRNA), die wiederum regulierenden Einfluss auf die Genexpression oder auf weitere biologische Prozesse haben können (Wang & Chang 2011; Fontanesi 2021b). 

[Gen = Funktionale Informationseinheit der Chromosomen]. 

Aufbau und Funktion von DNA und RNA
Der genetische Code
(Khan Academy) 
Basic Genetics
(Genetic Science Learning Center)


Epigenetik

Grundsätzlich enthält jede Körperzelle eines Lebewesens das gleiche DNA-Genom; je nach Zelltyp, Alter und physiologischen Bedingungen werden komplexe Regulationsmechanismen ausgelöst und jeweils nur eine bestimmte Auswahl an Genprodukten erzeugt. 

Epigenetische Modifikationen umfassen • DNA-Methylierung (innerhalb von CpG-Dinukleotiden), • post-translationale Histon-Tail-Modifikationen (z.B. Methylierung, Acetylierung), • Chromatin-Umgestaltung (Verschiebung der Nukleosomen), • Histon-Varianten (veränderte Funktion der Nukleosomen) oder • ncRNAs (miRNA - post-transkriptionales Gen-Silencing; piRNA - post-transkriptionales oder transkriptionales Gen-Silencing, große Bedeutung für Keimbahn und Stammzellen; lncRNA - bilden vorrangig im Zellkern RNA-Protein-Komplexe und regulieren in Folge viele verschiedene Prozesse). 

Ein tiefergehendes Verständnis der zugrundeliegenden Regulationsmechanismen ist ein fortlaufendes Forschungsziel.


Epigenetics
(Genetic Science Learning Center) 



Vererbung

Durch einen speziellen Vorgang (Reifeteilung "Meiose") zur Bildung der Keimzellen - männliche Spermien oder weibliche Eizellen - wird gewährleistet, dass jedes Kaninchen von jedem Gen jeweils zwei Varianten erhält: jeweils ein Allel von jedem Elternteil. Je nach Kombination der Chromosomen während der Meiose kann der väterliche (paternale) oder der mütterliche (maternale) Anteil der Erbanlagen überwiegen.

Die Allele können sich in ihrem Informationsgehalt für die Ausprägung eines Merkmals gleichen (homozygot, reinerbig) oder unterscheiden (heterozygot, mischerbig). Welche Erscheinungsform bei einem mischerbigen Tier äußerlich in Erscheinung tritt, hängt grundsätzlich von den Dominanzverhältnissen der Allele ab.

  • Mendelsche Vererbung: dominante Allele werden mit Großbuchstaben symbolisiert, rezessive mit Kleinbuchstaben. Bei heterozygotem Genotypen (single-locus) setzen sich dominante Allele gegenüber rezessiven Allelen durch und bestimmen das äußerliche Erscheinungsbild (Vollständige Dominanzvererbung).
    (--> Mendelsche Gesetze: Uniformitätsgesetz, Spaltungsgesetz, freie Kombination der Gene)

Exkurs: Geschichte der Forschung über die Mendelsche Vererbung in Tieren in den frühen 1900er-Jahren: 
Pioniere der Mendelschen Vererbung

  • Nicht-Mendelsche Vererbung: • intermediäre oder unvollständige Dominanzvererbung (beide Allele bestimmen die Merkmalsausprägung), • polygene Vererbung (mehrere Gene sind beteiligt) und • weitere komplexe (epigenetische) Mechanismen (Vihinen 2022; Abramowitz & Bartolomei 2012).


Genetische Kopplung

Liegen die für die Ausbildung zweier verschiedener Merkmale verantwortlichen Gene auf dem gleichen Chromosom, ist eine freie Kombination der Gene in der Regel nicht möglich. Die betreffenden Genorte werden gemeinsam vererbt und spalten entgegen dem dritten Mendelschen Gesetz in der Enkelgeneration (F2) nicht auf.
Bearbeiten Züchter ein bestimmtes Merkmal, verändern sich also auch Merkmale, die mit dem selektierten Merkmal funktional zusammenhängen. 

Beispiele:

Kopplungsgruppen nach Castle & Sawin (1941)
Kopplungsgruppen nach Castle & Sawin (1941)


I / Chromosom 1: c - Albino (TYR), y - Gelbes Fett (BCO2), b - Braun (TYRP1)
II / Chromosom 15: du - Plattenscheckung, En - Punktscheckung (KIT), l - Angora (FGF5)
III / Chromosom 14: r1 - Rex (LIPH)
IV / Chromosom 4: A - Agouti (ASIP), dw - Zwergenfaktor (HMGA2), w - Breitbandfaktor
V: f - Felllosigkeit, br - Brachydaktylie (Störung der Knochenbildung)

Keine Regel ohne Ausnahme: Kopplungsbruch und freie Rekombination der Allele in den Keimzellen ("crossing over"). Je weiter zwei Genorte auf einem Chromosom auseinander liegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen Kopplungsbruch.


Epistasie

Epistas(i)e liegt vor, wenn die Expression eines Gens die Expression eines anderen Gens "überdeckt" und damit dessen Ausprägung verhindert (Beispiele: MC1R/ASIP, Albino oder c-KIT, bzw. Vienna White).


Polygene Vererbung

Bei der polygenen Vererbung wird die Merkmals-Ausprägung von mehreren Genorten gesteuert.  

  • Summierende Genwirkung: Der Grad der Ausprägung kann auf einer additiven Wirkung der beteiligten Allele beruhen. Dabei ist die Zahl der möglichen Abstufungen bei intermediärer Vererbung größer als bei dominant-rezessiver Vererbung (Beispiele: Russenfaktor, Gelbverstärkung). 
  • Modifikatorgene: Im Zusammenhang mit einem Hauptgen können Modifikatorgene dessen Ausprägung beeinflussen.

Ausgewählte Infomation

Tools zur Genotypisierung
 

Nuclear and mitochondrial reference genomes of the European rabbit

Ensembl - Genome Browser

Ein bioinformatisches Forschungsprojekt von "European Molecular Biology Laboratory - European Bioinformatics Institute" (EMBL-EBI) bietet allgemeine Informationen und Statistiken über das Genom verschiedener Spezies, sowie Genkarten:
Rabbit Search: https://www.ensembl.org/Oryctolagus_cuniculus/Info/Index

Aktuelle Version: 109 - 02/2023 (OryCun2.0; Stand 02/2023)


National Center for Biotechnology Information (NCBI)

Referenz-Genome des Hauskaninchens:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/assembly/GCA_009806435.2
Bisher verfügbare Assemblies: oryCun 1.0, oryCun 2.0 (Gertz et al. 2013) und UM_NZW_1.0 (Bai et al. 2021)



Verwandte Links

Online mendelian inheritance in animals (OMIA)

Eine von der Universität Sidney (Australien) geführte Auflistung von bekannten erblichen (single-locus) Merkmalen inklusive möglicher Erbkrankheiten und ihrer kausalen Varianten bei verschiedenen Tierarten, darunter Kaninchen, sowie entsprechende Verweise zu wissenschaftlichen Publikationen oder Gen-Datenbanken:
https://omia.org/home/
OMIA IDs haben das Format OMIA xxxxxx-yyyy…, mit xxxxxx als ID für ein bestimmtes Merkmal and yyyy… für die Spezies-Taxonomie des NCBI (Nicholas 2021).


RGB-Net

Unter anderem weil das Kaninchen-Genom eine größere Ähnlichkeit zum menschlichen Genom aufweist als jenes von Nagetieren, dient das Kaninchen als ein bedeutendes Tier-Modell in der biomedizinischen Forschung (Mage et al. 2019; Miller et al. 2014; Fontanesi 2021b). Die Charakterisierung relevanter Gene auf molekularer Ebene beim Kaninchen kann wichtige Informationen liefern, um biologische Mechanismen, die zur Ausprägung bestimmter Merkmale (z.B. Pigmentierung oder Körpergröße) oder zur Entstehung von Krankheiten führen, auch beim Menschen besser zu verstehen und steht daher bereits seit einigen Jahren im Fokus von forschenden Wissenschaftlern.

A Collaborative European Network on Rabbit Genome Biology:
https://www.cost.eu/cost-action/a-collaborative-european-network-on-rabbit-genome-biology-rgb-net/


RabGTD

A comprehensive database of rabbit genome and transcriptome by NGS (Zhou et al. 2018): 
https://www.picb.ac.cn/RabGTD/ 

Transkriptom: Summe aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle produzierten RNA-Moleküle



Zur Genom-Analyse für Forschungszwecke gibt es z.B. von Thermo Fisher Scientific den "GeneChip™ Rabbit Gene 1.0 ST Array".




Bücher

  • R. Robinson 1958, Genetic studies of the rabbit *
  • A. G. Searle 1968, Comparative genetics of coat colour in mammals *
  • H. Niehaus 1986, Band I: Vererbungslehre, Oertel + Spörer, ISBN: 3-88627-014-9 *

*: VOR Genomsequenzierung (historischen Kontext beachten) 

  • L. Fontanesi (Ed.) 2021, The genetics and genomics of the rabbit, CABI, ISBN: 9 781 78064 3342. (Sammlung wissenschaftlicher Fachartikel)


Weitere Verweise

Genetische Kopplung

Sexuelle Fortpflanzung und innerartliche Variation 
(Khan Academy)

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