Zuchtstrategien
Reinzucht
Als Reinzucht gilt die Zucht innerhalb einer geschlossenen Population; in der organisierten Kaninchenzucht innerhalb einer anerkannten Standard-Rasse, bzw. eines Farbenschlags dieser Rasse. Dabei wird ein einheitliches Erscheinungsbild der einzelnen Individuen mit möglichst wenig Abweichung von der Standardbeschreibung angestrebt.
Gelegentlich können zur Verbesserung bestimmter Merkmale Vertreter anderer Rassen oder Farben eingekreuzt werden ("Kreuzungszucht") - eine sorgfältige Planung, Dokumentation und Transparenz vorausgesetzt. Bis die Nachkommenschaft wieder als "rein" angesehen werden kann, vergehen mehrere Generationen.
Linienzucht
Eine zuverlässige Vorhersagbarkeit von phänotypischen Merkmalen einzelner Rassevertreter setzt eine gewisse genetische Konsistenz voraus. Diese kann neben strenger Selektion insbesondere durch Linienzucht (Inzucht), bei der die Zuchttiere miteinander verwandt sind, in relativ kurzer Zeit erreicht werden:
- enge Inzucht, "Inzestzucht": Verpaarung von Vater mit Tochter, Sohn mit Mutter oder Bruder mit Schwester
- mäßige Inzucht: Verpaarung von Großvater mit Enkelin, Enkel mit Großmutter, Halbbruder mit Halbschwester, Onkel mit Nichte oder Neffe mit Tante
- schwache Inzucht: Verpaarung von Cousine mit Cousin
(Rahr 2022/3)
Mit zunehmendem Inzuchtniveau erhöht sich die Reinerbigkeit (Homozygotie) einer Rasse. Neben den beabsichtigten Genen werden gleichzeitig viele andere Gene homozygot. Unerwünschte (rezessive) Allele werden ggf. sichtbar und können aus der Population selektiert werden.
Allerdings werden dadurch auch Inzuchtdepressionen gefördert, die sich früher oder später durch gesundheitliche Einbußen bemerkbar machen (Reduktion von Fruchtbarkeit, Anpassungsvermögen, Vitalität, Fitness oder Krankheitsresistenz). Daneben bietet der fortschreitende Verlust genetischer Variation immer weniger Ansatzpunkte für eine Selektion.
Eine hohe Inzucht wird vor allem dann zur Gefahr, wenn keine nicht-verwandten Teilpopulationen (mindestens fünf Generationen lang keine gemeinsamen Ahnen) mehr vorhanden sind, mit deren Hilfe sich die Inzucht relativieren lässt. Der Aufbau einzelner Inzuchtlinien kann langfristig nur im Rahmen einer übergeordneten Zuchtstrategie funktionieren, die eine Balance zwischen Konsistenz und Vielfalt des Genpools einer Rasse anstrebt.
"Die Gefahr der Inzucht besteht darin, schädliche Auswirkungen rezessiver Gene zu fixieren."
Roy Robinson, Pionier der Mendelschen Vererbung in Tieren (The Daily Telegraph, 08.09.1990; sinngemäß übersetzt)
Populationsanalyse und Erhaltungszucht
Tierzucht bringt im Laufe der Generationen immer eine Veränderung des Genpools mit sich, sei es durch züchterische Maßnahmen zur gezielten Verbesserung von phänotypischen oder leistungsbezogenen Merkmalen oder durch zufällige Situationen, in deren Folge nur ein Teil einer Population zur Fortpflanzung kommt. Dieser Effekt wird als genetischer Drift bezeichnet.
Ist eine Population über einen langen Zeitraum sehr klein und isoliert, können Allele vollständig aus der Population driften, und die Vielfalt des Genpools nimmt ab.
Standardisierte Rassen sind in der Geschichte der Kaninchenzucht zwar eine relativ junge Entwicklung, dennoch sind bereits einige von ihnen in ihrem Bestand mehr oder weniger stark gefährdet.
Um den spezifischen Genpool dieser Rassen langfristig zu erhalten, sind Strategien gefragt, welche die jeweils etablierte genetische Vielfalt in ihrer Gesamtheit berücksichtigen.
Voraussetzung ist ein umfassendes Wissen über die Historie der einzelnen Rassen einschließlich all ihrer potentiellen Untergruppen (z.B. Gründertiere, Blutlinien oder geographisch voneinander isolierte Gruppen).
Nützliche Werkzeuge für das effektive Management und damit die Erhaltung einer Rasse sind:
- kontinuierliche Bestandserhebung der Zuchttiere zur Ermittlung der effektiven Populationsgröße
- DNA-Analysen (Mikrosatelliten/ STR, Einzelnukleotid-Polymorphismus/ SNPs, Gesamt-Genom-Sequenzierung, mütterliche mitochondriale DNA, väterliche Y-chromosomale DNA)
- Beurteilung von Stammbäumen, bzw. Verwandtschaftsverhältnissen.
Bei Rassen mit einer geringen Zuchtbasis empfiehlt es sich, behutsam zu selektieren und für eine unbedenkliche Inzuchtrate möglichst viele Vatertiere in der Zucht einzusetzen. Eine Kreuzungszucht innerhalb der Rasse sollte jederzeit möglich sein.
In Ergänzung zur Lebenderhaltung kann die Kryokonservierung eine wichtige unterstützende Maßnahme darstellen.
Bücher zum Thema:
- D. P. Sponenberg, J. Beranger, A. Martin & C. Couch, Managing Breeds for a secure future - Strategies for Breeders and Breed Associations, ISBN-13: 978-1789181647;
- W. Stephan & A. C. Hörger - Molekulare Populationsgenetik: Theoretische Konzepte und empirische Evidenz, ISBN-13: 978-3662594278.