BEHAARUNG
UND PIGMENTIERUNG
Die Haartypen beim Kaninchen
Kaninchen besitzen verschiedene Haartypen, die in spezialisierten Haarfollikeln von hornbildenden Zellen in der Haut (Keratinozyten) gebildet werden:
- Unterhaar
Funktion: Thermoregulation; - Deckhaar
Funktionen: mechanischer Schutz vor Umwelteinflüssen, insbesondere vor Nässe; inner- und zwischenartliche Kommunikation (Wildtyp); - Grannenhaar und Sinneshaar (Spür- und Tasthaare am Kopf und Leithaare am Rumpf);
Tasthaare helfen bei der räumlichen Objekterkennung – insbesondere in dunkler oder komplexer Umgebung – indem sie vibrotaktile Informationen über den Haarfollikel an spezielle Strukturen im Gehirn weiterleiten.
(Searle 1968; Allain 2021; Grant & Goss 2022)
Die hintere Ohrenhälfte und der Nacken sind frei von Grannenhaaren, und auch Deckhaare wachsen an diesen Stellen vergleichsweise spärlich.
Die Länge der Deckhaare bei Normalbehaarung beträgt bei großen Rassen ca. 4 cm, bei kleinen Rassen ca. 3 cm.
Der Haarzyklus bei Säugetieren
Der Haarzyklus wird allgemein in drei Phasen unterteilt: In der (i) Wachstumsphase (Anagen) wird das Haarwachstum durch Teilung der Matrixzellen an der Basis der Haarfollikel
eingeleitet; die Dauer dieser Phase bestimmt die endgültige Länge des Haars. Nach dem Erreichen der größten Haarlänge erfolgt der Wechsel in die (ii) Übergangsphase (Katagen), in der sich die Aktivität der Matrixzellen reduziert. Der untere Teil des Haarfollikels bildet sich zurück und das Haar wird von der Haarpapille abgestoßen, so dass keine Versorgung mit Nährstoffen mehr stattfindet; in der abschließenden (iii) Ruhephase (Telogen) verhornt das Haar und der Haarfollikel regeneriert sich.
Der Verlust des alten Haares ("Kolbenhaar") kann vor oder während dem erneuten Übergang in die Anagenphase stattfinden (Exogen). Darüber hinaus kann bei Tieren möglicherweise eine weitere, haarlose Phase (Kenogen) unterschieden werden, die wohl nur in bestimmten Haarfollikeln stattfindet und über die sich ggf. unterschiedliche Felldichten im Sommer- bzw. Winterfell erklären lassen.
Die Dauer der einzelnen Phasen kann je nach Art, anatomischer Lage, Ernährungs- und Hormonstatus oder Alter variieren.
(Stenn & Paus 2001; Alonso & Fuchs 2006; Houschyar et al. 2020; Allain 2021)
Pigmentbildung und Haarfarbe
Ausgehend von der embryonalen Neuralleiste verteilen sich die pigmentbildenden Melanozyten u.a. auf der Körperoberfläche, wo sie schließlich in der Haut oder in der Matrix der Haarfollikel angesiedelt sind. In einem komplexen Prozess werden die Pigmente Phäomelanin (rot oder gelb) und Eumelanin (dunkelbraun oder schwarz) gebildet und über Zellfortsätze (Dentriten) an die hornbildenden Zellen (Keratinozyten), bzw. an die Haarwurzel des wachsenden Haars abgegeben.
Agouti-Melanocortin-Signalweg (im Haar)
Melonocortin-Rezeptoren (MC1R) in der Zellmembran (Oberfläche) der Melanozyten setzten nach Bindung eines Melanozyten-stimulierenden Hormons (α-MSH) Mechanismen im Inneren der Zelle in Gang (in diesem Fall: Produktion von Eumelanin). Das Agouti-Signal-Protein (ASIP) kann als Antagonist an MC1R binden und damit die Bindung von α-MSH blockieren. In der Folge wird die Bildung von Eumelanin abgeschwächt und vermehrt Phäomelanin gebildet. Bei der Wildfarbe erfolgt die Bildung der Pigmente zeitlich (gebänderte Einzelhaare) und räumlich (regionale Farbunterschiede: ventral hell und dorsal dunkel) begrenzt (siehe Abschnitt "Wildfarbigkeit" unten).
Melanin-Biosynthese
Das Schlüssel-Enzym in der Melanin-Biosynthese ist Tyrosinase. Es dient als Katalysator für die Hydroxylierung der Aminosäure L-Tyrosin zu Dihydroxyphenylalanin (L-DOPA) sowie dessen anschließender Oxidierung zu Dopachinon und Dopachrom. In weiterer Folge werden mit Hilfe weiterer Enzyme (TYRP1 und TYRP2) über verschiedene Zwischenprodukte Eumelanin und Phäomelanin produziert (Searle 1968; Henkel 2021).
Ist das Pigment erst einmal im Haar, verändert es sich nicht mehr durch körperliche Einflüsse, höchstens durch äußere Einflüsse wie z.B. UV-Strahlung.
A: Schematische Darstellung von MC1R in der Plasmamembran der Melanozyten. Durch Bindung von α-MSH wird MC1R aktiviert; bindet dagegen der Antagonist ASIP, so wird MC1R gehemmt. Die Aktivierung von MC1R führt zur bevorzugten Synthese von Eumelanin.
B: Schematische Darstellung der Melanin-Biosynthese in den Melanosomen der Melanozyten. Schlüsselenzyme sind in rot hervorgehoben.
Der farbliche Gesamteindruck wird schließlich von Struktur, Länge und Verteilung der Deck- und Grannenhaare beeinflusst.
➭ Genetik der Fellhaarfarben
WILDFARBIGKEIT
Die natürliche Färbung des Europäischen Kaninchens
Die natürliche Färbung des Europäischen Kaninchens ("Agouti") zeichnet
sich durch ein graues Rückenfell mit einer deutlich helleren oder weißen
Bauchseite aus. Die Agouti-Farbe ist im Rückenbereich am dunkelsten: Grannen-
und Deckhaare sind über ihre gesamte Länge schwarz mit intensiv dunkler Spitze
und blauem Ansatz; wobei allein die Deckhaare subdistal durch ein gelbes Band unterbrochen
werden. Zu den Seiten hin geht die Farbe in einen helleren Ton mit blasseren
Haarspitzen und beigefarbiger Bänderung über.
Das Bauchhaar wird in der Regel von gelblichen Seitenstreifen eingegrenzt und ist weiß oder sehr schwach cremefarbig mit blauer oder bläulicher Unterfarbe. Auch die Unterseite des Kiefers, die Wangenränder und die Augenringe sind cremefarbig. Im Nacken befindet sich ein orange-gelbes Dreieck. Die Haare der Fußunterseite sind weißlich, die der Blumenunterseite weiß.
Die Breite der Bänderung variiert je nach Körperregion: in der Mitte des Rückens und an den Schultern beträgt diese etwa 3 mm; vom Rücken aus zu
den Seiten und Flanken hin sowie im Nackenbereich verbreitert sich das Band auf bis zu 6 mm.
Die Bandbreite korreliert mit der Wachstumsgeschwindigkeit,
bzw. dem Durchmesser der Haare - Je schmäler die Bänderung, umso intensiver ist deren
Farbe.
(Robinson 1958)
Die Haar-Farbzonen bei wildfarbigen Normalhaarrassen
In der (Schwarz-)Wildfarbe hat jede Haarart ihre eigene Farbzonierung:
- Deckhaar mit vier Farbzonen: tiefschwarze Spitze - hellgelbliche Wildfarbzone (ca. 4 mm breit) - dunkle Zone (ca. 3 mm breit) - blaugraue (verdünnt schwarze) Unterfarbzone
- Unterhaar mit drei Farbzonen: schwarze Spitze (ca. 3 mm breite "Kränzchenzone") - gelbbräunliche bis gelbrötliche Zwischenfarbzone (4 bis 6 mm breit) - blaugraue Unterfarbzone; das Unterhaar ist leicht gewellt; die Intensität der Zwischenfarbzone hängt mit der Dichte des Unterhaars zusammen
- Grannenhaar mit zwei Farbzonen: schwarze Spitze - helle Unterfarbzone; die Länge (und Dichte) der Grannenspitzen bestimmt von lang nach kurz, ob ein wildfarbenes Fell verwaschen, kräftig schattiert oder geperlt ist.
Alle Haararten bei der Schwarzwildfarbe sind schwarz gespitzt. Die Deckfarbe wird wesentlich bestimmt durch das Zusammenspiel der Spitzenfarbzone des Grannenhaars und der Spitzenfarbzone und Wildfarbzone des Deckhaars.
(Searle 1968; Contes 2008; Contes 2011)
Besonderheiten des Rexfells: Die dunkle Unterhaarspitze liegt mit der dunklen Deckhaarspitze auf gleicher Höhe, und auch die Phäomelaninzonen liegen zusammen; es wird demnach keine Kränzchenzone gebildet (Contes 2011/14).
Noch ein paar Worte zur Farbe "Grau"
Die Farbe "grau" (schwarzwildfarbig) tritt in einer Vielzahl von Schattierungen mit stufenlosen Übergängen auf. Rassestandards (EE/ ZDRK) unterscheiden die Farbenschläge dunkeleisengrau, eisengrau, dunkelgrau, wildgrau, hasengrau und hasenfarbig:
- Dunkeleisengrau (BE_ - Mögliche Genotypen siehe Abbildung "Ergänzende Informationen zum E-Lokus" auf der Seite Genetik)
Durch die Schwarzverstärkung ist der Phänotyp nahezu schwarz ohne ausgeprägte Wildfarbigkeitsmerkmale.
- Eisengrau (BE/B)
Durch die Spalterbigkeit mit "B" und Varianten des Breitbandfaktors sind entsprechend dunkle, mittlere oder helle Farbausprägungen möglich. Die Deckfarbe ist möglichst einfarbig, d.h. ohne Wildfarbigkeitsabzeichen. Einzelhaarzonierung im Vergleich zur Wildfarbe: Die schwarze Haarspitze des Unterhaars nimmt etwa die doppelte Länge ein und geht in ca. der halben Breite der ursprünglichen Zwischenfarbe in die blaue Unterfarbe über; statt drei Farbzonen nur zwei Farbzonen, keine Zwischenfarbe; das Deckhaar verfügt über eine max. 3 mm lange Wildfarbzone und entsprechend längere schwarze Haarspitzen. Wenn die Grannen nur knapp das Deckhaar überragen entsteht ein Perleffekt ähnlich wie bei der Rasse Perlfeh.
- Dunkelgrau/ Wildgrau/ Hasengrau (B_) "wildfarbig"
Wildgraue Kaninchen haben eine intensiv bläuliche Unterfarbe. Grannen- und Deckhaar sind gleichmäßig mittel schattiert, wobei die Deckfarbe ein intensives bis helles graubraun besitzt und am Rücken schwarz überzogen ist. Die Zwischenfarbe, sowie der Nackenkeil und die Schoßflecken sind intensiv braunrot, der breite Ohrsaum ist schwarz gefärbt und sauber abgegrenzt. Körperzonierung: Augen-, Nasen- und Kinnbackeneinfassung, Bauch, Blumenunterseite und Innenseiten der Läufe sind weiß bis cremefarbig. Wildfarbige Kaninchen haben eine gesprenkelte Blumenoberseite, braune Augen und dunkle Krallen (Europa Standard 2012).
Dunkelgrau: breite schwarze Spitzen, entsprechend schmalere Wildfarbzone; schmale Zwischenfarbe, entsprechend breitere Unterfarbe.
Hasengrau: schmale schwarze Spitzen, entsprechend breitere Wildfarbzone; breite Zwischenfarbe, entsprechend schmalere Unterfarbe (Breitbandfaktor).
Hinweis: Bei Rex- und Satinkaninchen wird wildfarbig als "Castor" bezeichnet.
- Hasenfarbig (B_ Y_)
Wildfarbig mit Anhäufung von Gelbverstärkern (unterschiedliche Intensität der Einlagerung gelbroter Pigmente in der Wildfarbzone);
klassische Variante: hasenfarbig hasengrau (Bsp.: Hasenkaninchen rotbraun), aber auch hasenfarbig wildgrau (Bsp.: Deilenaar) oder hasenfarbig dunkelgrau (Bsp.: Kastanienbraune Lothringer) möglich.
Die Phänotypen eisengrau und dunkelgrau sind visuell nicht eindeutig zu unterscheiden, und ein Rückschluss auf den Genotypen ist allein anhand der Optik nicht möglich. Deshalb lässt der Europa-Standard 2012 Mischfarben zwischen Eisengrau und Dunkelgrau zu, und auf Bewertungsurkunden wird die doppelte Farbbezeichnung "dunkel-/eisengrau" angegeben.
Außerdem können in Deutschland oder bei Europa-Schauen wild- und hasengraue Tiere im Kombinationsfarbenschlag "grau" oder "wildfarben" zusammengefasst werden.
(Walks 2020/53; Walks 2022/81; Guggenberger 2018/11; Majaura 2019/6)
Interessantes Detail am Rande: Wildfarbige Kaninchen werden von möglichen Fressfeinden deutlich schlechter wahrgenommen, als Tiere mit anderen Farben - ein eindeutiges Plus bei einer naturnahen Haltung!

Bild: Kaninchen aus Sicht eines (Raub-)Vogels
Wildfarbige Tiere haben einen deutlichen Vorteil gegenüber schwarzen.
Mit frendlicher Genehmigung von Frances Harcourt-Brown, Expert in rabbit medicine (UK)
Natürlich sind sie dennoch soweit möglich vor potentiellen Gefahren zu schützen (TierSchG § 19).