GENETIK

Haarfarben, Haarstrukturen und andere Merkmale


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➭ Grundlagen Haarzyklus und Pigmentbildung: Behaarung und Pigmentierung

Glossar (Genetik und Genomik)


Haarfarbe

Klassifizierung bekannter (Haupt-)Farbgenorte nach Phänotyp 


Die Farbe des Fellhaars wird grundsätzlich polygen bestimmt, allerdings gibt es einige Gene mit besonders großem Einfluss. Bei Säugetieren sind dies:

KIT (Proto-Oncogene Receptor Tyrosine Kinase), KITL (KIT-Ligand), MITF (Microphthalmia associated Transcription Factor), Gene der Endothelin-Achse (z.B. EDNRA oder EDNRB endothelin-receptor-A/B) ➭ Einfluss auf die Entwicklung der Melanozyten

MC1R (Melanocortin 1 Receptor), ASIP (Agouti-signalling Protein) ➭ Wechsel zwischen Eumelanin und Phäomelanin

TYR (Tyrosinase; analog: OCA1 - oculocutaneous albinism type 1), TYRP1 (Tyrosinase related Protein 1; analog: OCA3 - oculocutaneous albinism type 3), OCA2 (Oculocutaneous albinism 2; analog: P - pink-eyed dilution), MATP (Membrane-Associated Transporter Protein; analog: OCA4 - oculocutaneous albinism type 4➭ Einfluss auf die Melanin-Synthese (direkt: TYR, TYRP1; indirekt: OCA2, MATP)

(nach: Demars et al. 2021; Demars et al. 2022; Ballan et al. 2023).

Die hervorgehobenen Genorte (und weitere) wurden inzwischen auch beim Kaninchen als wesentliche Regulatoren der Fellhaarfarbe durch molekulargenetische Untersuchungen bestätigt.



Hinweise für die folgenden Kapitel:
Internationale Symbole werden in Klammer angegeben. Sind an einem Genort mehrere Allele bekannt, werden sie in der Reihenfolge abnehmender Dominanz aufgeführt.
In den aufgeführten
Beispielen dienen die Unterstriche "_" als Platzhalter für gleiche Allele oder Allele mit untergeordnetem Dominanzverhalten.
 

Genorte I (Grundfarbe)


B
(E) - Extension-Locus

Genort: MC1R (melanocortin 1 receptor/ MSH-R, melanocyte-stimulating hormone receptor
Chromosom: - (Scaffold Un0267 (GL018965 (ENSEMBL)/ NW_003159591 (NCBI))
OMIA 001199-9986

Bekannte Allele:
BEE > BE > B > bJ > b 

BEE (ED) - Dominant Schwarz (6 bp-in-frame Deletion: c.280_285del6; bekannte SNP-Positionen (siehe Wildtyp Allel B) analog Riese grau (333A;555T) (Fontanesi et al. 2006)). Der Rezeptor MC1R ist permanent aktiviert.
Das Allel G (Wildtyp; heterozygot oder homozygot vorliegend) des Genorts ASIP kann bei heterozygoten BEE/b  Individuen eine leichte Aufhellung des Fellhaars bewirken, wohingegen ein derartiger Effekt bei reinerbigen BEE/BEE Tieren unterdrückt wird (Fontanesi et al. 2006)

BE (ES) - Eisengrau (abgeschwächte Form von BEE). MC1R reagiert nur sehr reduziert auf die Anwesenheit von ASIP, α-MSH lässt sich nur schwer verdrängen. Bisher wurde allerdings keine abweichende DNA-Sequenz zu BEE festgestellt (Fontanesi et al. 2006) - möglicherweise spielen bei verschiedenen Schwarz-Varianten weitere modifizierende Gene oder epigenetische Faktoren eine Rolle.

Die Allele BEE oder BE wurden z.B. bei Kaliforniern, schwarz-weiß gescheckten Kaninchen (Riesenschecken, Kleinschecken, Holländer), Riesen weiß (Albino) und Weißen Neuseeländern (Albino) gefunden (Fontanesi et al. 2006).

Die standardisierte Farbe eisengrau (heterozygot BE/B) ist an der fehlenden Zwischenfarbe, den kaum erkennbaren Wildfarbigkeitsabzeichen und an der nicht gesprenkelten Blumenoberseite zu erkennen (Guggenberger 2018/11).

B (E) - Wildtyp mit "normaler" Schwarzausbreitung (bisher zwei Allele bekannt, die sich in zwei synonymen SNPs unterscheiden: c.[333A>G;555T>C] (Riese grau und Russe vs. Hasenkaninchen, Alaska, Blaue Wiener und Silber) (Fontanesi et al. 2006; Fontanesi et al. 2010)).
Im Zusammenspiel mit ASIP, bzw. dem Breitbandfaktor (w) sind verschiedene Abstufungen möglich. 

bJ (eJ) - Japaner (6 bp-in frame Deletion: c.[124G>A;125_130del6] (Fontanesi et al. 2010)). Eumelanin ist ungleichmäßig auf dem Körper verteilt (schwarz-gelb-Mosaik).

bJ verhält sich teildominant gegenüber ASIP: 

  • das ASIP Wildtyp-Allel G tritt bei den dunklen Farbfeldern nicht in Erscheinung (keine gelben Farbzonen der Einzelhaare, "Dominant Schwarz"); 
  • Das Vorhandensein von G oder g ist nur an den gelben Farbfeldern erkennbar:
    bei wildfarbig gelb (oder weiß bei Rhön) gefärbten Haaren trägt bJ zu deren "Bereinigung" bei, denn die Ausbildung schwarzer Haarspitzen wird auf ein Minimum zurück gedrängt; am Bauch, an der Innenseite der Läufe oder an der Blumenunterseite kann die typische, weiße Körperzonierung der Wildfarbigkeit in Erscheinung treten;
    dagegen weisen "einfarbig" (g/g) gelbe Haare schwarze Spitzen auf, und die gelbe Farbe ist besonders intensiv gelbbraunrot 

(Castle 1924; Robinson 1958; Niehaus 1987; Majaura 2021/4). 

MC1R-mRNA wird wohl nur in der Haut dunkler Farbfelder exprimiert, nicht dagegen in hellen Farbfeldern. Demnach könnte die Transkription des MC1R (Allel bJ) epigenetisch reguliert sein (Fontanesi et al. 2010; Fontanesi 2021). Denkbar wären z.B. Methylierungen oder eine Position-effect variegation (PEV), bei der die Expression eines Gens in einem bestimmten Zelltyp durch seine relative Lage zu Heterochromatin-Bereichen bestimmt wird (kein Nachweis vorhanden). 

Die gezielte Zucht von Japaner-gezeichneten Kaninchen begann im 19. Jahrhundert in Frankreich (Castle 1924; Niehaus 1987). Sie entstanden aus Kreuzungen von wildfarbigen  Tieren und solchen mit Holländerscheckung - zumindest bis um die Jahrhundertwende waren weiße Abzeichen nicht ungewöhnlich (Mahlich 1903, Starke 1907 und Schumann 1918, zitiert nach Möbes 1946; Hoy 2012). Demnach könnte eine Japanerzeichnung mit klar getrennten Streifen von Holländerfaktoren beeinflusst werden (Majaura 2021/4; siehe auch Robinson 1958 und Searle 1968).

A_bj_C_D_G/g0/g_: Japanerfarbig;
achi_bj_C_D_G/g0/g_: Rhönfarbig
Wild-Japanerfarbig mit der Allelkombination BbJ - siehe ergänzende Information unten.

Das Allel bJ wurde z.B. bei Tieren der Rassen Japaner und Dreifarbenschecken gefunden (Fontanesi et al. 2010).

b (e) - Rezessiv gelb (30 bp-in frame Deletion: c.304_333del30; erste SNP-Position des Wildtyp-Allels eliminiert und zweite SNP-Position analog Riese grau (555T) (Fontanesi et al. 2006)). MC1R ist funktionsunfähig, die Bildung von Eumelanin wird unterdrückt.

A_b_C_D_G_: Gelb oder - mit Anhäufung von Gelbverstärkern - Rot (auch A_b_c_D_G_ ist im Phänotyp nahezu gelb (Robinson 1958));
A_b_C_D_g_: Thüringerfarbig (gemsfarbig, madagaskarfarbig); rußiger Schleier auf dem Rumpf - "Rumpfabzeichenzone" - und rußige Gesichtsmaske);
A_b_C_d_g_: Blau Thüringerfarbig/ Isabell;
A_b_c_D_g_: Havanna Thüringerfarbig/ Orange/ Sepiabraun;
A_b_c_d_g_: Feh Thüringerfarbig/ Separatorfarbig (Die Bezeichnung "Separator" leitet sich von der Möglichkeit ab, mit seiner Hilfe die Erbreinheit aller Rassen hinsichtlich ihrer Farben zu prüfen - rezessive Farbgene der B-, C-, D-und G-Serie können bei entsprechender Anzahl an Nachkommen identifiziert werden.);
A_b_C_d_G_: Mignon.

Homozygot b/b wurde z.B. bei Tieren der Rassen Burgunder, Farbenzwerge (siamfarbig), Holländer, Englische Widder, Englische Schecken, Sachsengold, Widder, Zwergwidder, Rote Neuseeländer und Thüringer festgestellt (Fontanesi et al. 2006).



Ergänzende Information zum E-Lokus

Dominanzverhalten und Interaktionen der Allele des Extension-Locus unter dem Einfluss des ASIP (s.u.) (nach Robinson 1958, zitiert nach Searle 1968 und Fontanesi 2021b; internationale Symbolik)
Dominanzverhalten und Interaktionen der Allele des Extension-Locus unter dem Einfluss des ASIP (s.u.) (nach Robinson 1958, zitiert nach Searle 1968 und Fontanesi 2021b; internationale Symbolik)


G (A) - Agouti-Locus

Genort: ASIP (agouti-signalling protein)
Chromosom: OCU4
OMIA 000201-9986.

Das an der Melanogenese beteiligte Agouti-Protein wird möglicherweise vorrangig von Zellen der dermalen Papille exprimiert (Hirobe 2011).

Bekannte Allele:
G > g0 > g

G (A) - Wildtyp (Wildfarbig - Agouti-Signalprotein, bestehend aus 133 Aminosäuren, das parakrin, d.h. auf Zellen in der unmittelbaren Umgebung wirkt; mehrere SNPs auf DNA-Ebene (die in zwei Wildtyp-Haplotypen resultieren: Haplotyp 1 und 2) sowie vier mRNA-Transkripte bekannt: 1A (ventral, nur bauchseitige Transkription), 1C (Transkription hauptsächlich dorsal), 1dv (dorsal-ventral) und 2Long (letztere zwei nicht Gewebe-spezifisch) (Fontanesi et al. 2010b).
Jedes wildfarbige Haar besitzt zwei bis vier farbige Bänder (siehe "Wildfarbigkeit", Behaarung und Pigmentierung).

g0 (at) - Otter ("Abzeichenbewahrungsfaktor", "black and tan"; Haplotypen 4 und 5). Aufhebung der dorsalen Einzelhaarzonierung unter Erhaltung der überwiegend ventralen Wildfarbigkeitsabzeichen. Die fehlende Aktivität des ASIP am Rücken der Tiere basiert mit großer Wahrscheinlichkeit auf einer 11kb-Deletion in der ASIP-Promotor-Sequenz: (g.5455408_5466123del) (Fontanesi et al. 2010b; Ammann 2018; Letko et al. 2020; Fontanesi 2021; in diesem Fall: "Hair cycle (specific) promotor", HCP).

A_B_C_D_g0_: Otterfarbig; oder - mit Anhäufung von Gelbverstärkern Y und in Kombination mit dem Breitbandfaktor w (blaue Unterfarbe am Bauch wird verdrängt; Majaura 2016/12) - Lohfarbig (black and tan: schwarz und brandrot)
(Anmerkung: Die Lohe bei Blau- oder Fehloh ist aufgrund der Farbverdünnung "d" weniger intensiv als bei Schwarz- oder Braunloh.);
achi/am/an_B_C_D_g0_: Weißgrannenfarbig.

(a) - Nicht-Wildfarbigkeit (Non-agouti; auf 21 Aminosäuren verkürztes, nicht funktionales Protein aufgrund der Frameshift-Insertion (c.5_6insA); dieser Haplotyp 3 basiert auf dem Wildtyp Haplotyp 1 (Fontanesi et al. 2010b)). Es wird hauptsächlich dunkles Pigment in das wachsende Haar eingelagert, demnach weder Einzelhaar- noch Körperzonierungen, sondern einheitliche Haarfarbe.

Homozygot g/g, bzw. eine große Frequenz des Allels g wurde z.B. bei den Rassen Alaska, Hotot, Blaue Wiener, Champagne d'Argent, Englische Schecken (schwarz-weiß), Havanna, Marburger Feh, Widdern (thüringerfarbig), Zwergwiddern, Farbenzwerge (havannafarbig), (Klein-)Silber, Dreifarbenschecken, Dalmatinger-Rexe und Russen, sowie Weißen Neuseeländern, Thüringern und Weißen Wienern festgestellt; außerdem bei schwarz-weißen Kaliforniern, Riesenschecken, Kleinschecken und Holländern (vermeintliche Träger des BEE oder BE Allels) (Fontanesi et al. 2010b).


A (C) - Color/ Albino-Locus

Genort: TYR (Tyrosinase)
Chromosom: OCU1

Bekannte Allele:
A > achi > am > an > a

A (C) - Wildtyp (Vollpigmentierung mit dunklen Augen - Das Enzym Tyrosinase besteht aus 530 Aminosäuren und besitzt zwei aktive Zentren (CuA und CuB), die jeweils ein Kupferion binden können; Es gibt mehrere Wildtyp-Allele, die sich in neutralen Polymorphismen/ Missense-Mutationen unterscheiden) (Aigner et al. 2000; Carneiro et al. 2014; Utzeri et al. 2021).

achi (cd, cm) - Chinchilla (Teilalbino). Unter dem Einfluss von ASIP erfolgt keine Einlagerung von gelbem Phäomelanin in die Zwischenfarbzone des Unterhaars und die Wildfarbzone des Deckhaars - diese Zonen sind dann weiß (Contes 2005); Dunkle, mittlere oder helle* Farb-Ausprägung möglich (Robinson 1958; Fontanesi 2021; siehe Abbildung unten).
Bei der dunklen Ausprägung verursachen Missense-Mutationen die Aminosäuresubstitutionen p.E294G und p.T358I (Aigner et al. 2000; Utzeri et al. 2021); die mittlere und helle (marderfarbige) Ausprägung wurden auf molekularer Ebene noch nicht charakterisiert. 

Erste chinchillafarbige Kaninchen wurden 1913 in Frankreich vorgestellt, marderfarbige folgten - unabhängig voneinander in verschiedenen Ländern - ab 1919 (Whitman 2004, zitiert nach Paist & Migdal 2023; Übersicht in Paist & Migdal 2023; Joppich 1969).

achi_B_C_D_G_: Chinchillafarbig;
achi_b_C_D_G_: Schwarzgrannenfarbig (Die dunklen Grannen können auch heraus gezüchtet werden (Niehaus 1987).)
achi_b_C_D_g_: Sallanderfarbig.

*: am (cl) - Marder (helles chin; temperatursensitive Ausprägung, "Akromelanismus"; unvollständig dominant gegenüber an und a)
amamB_C_D_g_: Dunkel-Marderfarbig; amanB_C_D_g_: Typ-Marderfarbig;
amamb_C_D_g_: Dunkel-Siamfarbig; amanb_C_D_g_: Typ-Siamfarbig
(g bei Rassekaninchen).

Marderfarbige Kaninchen sind über die Zeit vermehrt Farbveränderungen unterworfen; sie können mit zunehmendem Alter nachdunkeln und etwa im Alter von drei bis vier Jahren nahezu schwarz aussehen (Joppich 1969).

an (ch) - Russe (Teilalbino). "Akromelanismus", bzw. "Kälteschwärzung" der Extremitäten aufgrund einer hitzelabilen Tyrosinase; in den warmen Körperregionen ist das Enzym inaktiv (Searle 1968; OMIA 000202-9986). Eine Missense-Mutation verursacht die Aminosäuresubstitution p.E294G (Aigner et al. 2000; Utzeri et al. 2021)
Epistatische Interaktionen können für eine variable Ausprägung der Russenfarbe verantwortlich sein, so können MC1R, ASIP oder prozessierte Pseudogene ribosomaler Proteine die Farbintensität beeinflussen oder KIT die Ausbreitung der Melanozyten, d.h. der Farbfelder (Demars et al. 2021; Demars et al. 2022; OMIA 000209-9986).

Bedeutung für die Gesundheit: siehe Albino.

an_B_C_D_G_: Russenfarbig.

Besonderheit bei achi, am oder an in der Kombination mit rezessivem gelb ("b") laut Niehaus (1987):
wildfarbig b_G_ (oder b_g0_): gelbes Pigment wird vollständig ausgelöscht
vs. nichtwildfarbig b_g_: gelbes Pigment wird nur teilweise ausgelöscht, bzw. kann in abgeschwächter Form "schmutzig" in Erscheinung treten (Vgl. Marder, Siam).

a (c) - Albino. Eine Missense-Mutation verursacht die Aminosäuresubstitution p.T373K. In Folge ist das Enzym Tyrosinase nicht funktional, weshalb im gesamten Körper keine Bildung von Melanin möglich ist (Aigner et al. 2000; Utzeri et al. 2021).

Bedeutung für die Gesundheit: Melanin-Pigmente spielen eine wesentliche Rolle für den UV-Schutz. Insbesondere wenig behaarte Haut kann unter intensiver UV-Strahlung Schaden nehmen. Fehlt Melanin im Auge, können betroffene Tiere außerdem eine erhöhte Lichtempfindlichkeit und eine reduzierte Sehschärfe aufweisen (Reissmann & Ludwig 2013; Solano 2014).
(Siehe auch https://www.wikikanin.de/sehen zur Sehschärfe von Kaninchen und anderen Säugetieren. Die Sehschärfe selbst von pigmentierten Kaninchen ist vergleichsweise gering.)
Bei albinotischen, manchmal auch bei teilalbinotischen Kaninchen sind gelegentlich, besonders in ungewohnter Umgebung, webende Kopfbewegungen, zu beobachten. 

Ebenso wie der Russenfaktor an kann das Allel a bei Spalterbigkeit (A/a, achi/a, an/a) eine reduzierte Melaninsynthese bewirken (aufgehelltes Haar).

Weiße (albinotische) Kaninchen sind weltweit insbesondere in der kommerziellen Mastkaninchenzucht stark verbreitet.


Dominanzverhalten zwischen Allelen des C-Locus und Pigment-Ausprägung für die verschiedenen Kombinationen (nach Robinson 1958 und Fontanesi 2021b; internationale Symbolik; d: dunkle, m: mittlere, h: helle Farbausprägung bei Chinchillafarbigen - die Pigmententbildung der beiden letztgenannten ist ähnlich der Russenfarbe temperaturabhängig)
Dominanzverhalten zwischen Allelen des C-Locus und Pigment-Ausprägung für die verschiedenen Kombinationen (nach Robinson 1958 und Fontanesi 2021b; internationale Symbolik; d: dunkle, m: mittlere, h: helle Farbausprägung bei Chinchillafarbigen - die Pigmententbildung der beiden letztgenannten ist ähnlich der Russenfarbe temperaturabhängig)


Ergänzende Anmerkung: Auf OCU1 sind weitere Gene lokalisiert, die mit der Melaninsynthese zusammenhängen - so können möglicherweise GRM5, NOX4 oder RAB38 die Expression von TYR beeinflussen (Xie et al. 2024).


Genorte II (Modifikation der Grundfarbe)


C (B) - Brown-Locus

Genort: TYRP1 (tyrosinase-related protein 1, DHICA-Oxidase)
Chromosom: OCU1

Das TYRP1-Genprodukt katalysiert die Synthese von Eumalanin aus 5,6-Dihydroxyindol-2-carbonsäure - ein Mangel kann durch alternative Stoffwechselwege in der Regel nur teilweise ausgeglichen werden. Weiters stabilisiert es das Enzym Tyrosinase und ist an der Struktur der Melanosomen (potentielle Beeinflussung der Lichtreflexion) beteiligt (Hearing 1999, Sarangarajan & Boissy 2001, zitiert nach Slominski et al. 2005).

Bekannte Allele:
C > c

C (B) - Wildtyp (Vermutlich gibt es mehrere Wildtyp-Allele mit ~537 Aminosäuren (Utzeri et al. 2014)). 

c (b) - Braun (Verkürztes Protein mit fehlender Tyrosinase-Domäne aufgrund der Mutation (g.41360196G>A) (Utzeri et al. 2014; OMIA 001249-9986)). Der Verlust an Eumelanin ist auch an der helleren Krallenfarbe erkennbar.

A_B_c_D_g_: Havannafarbig (An dunklem schokoladenbraun sind vermutlich modifizierende Gene beteiligt (Robinson 1958)).


D (D) - Dilute-Locus

Genort: MLPH (Melanophilin)
Chromosom: - (Scaffold GL018840 (ENSEMBL)/ LOC100343360 (NCBI)

Bekannte Allele:
D > d

D (D) - Wildtyp (Proteinkomplex aus 562 Aminosäuren, welcher die Domänen Rab27A (member RAS oncogene family), Melanophilin und MYO5A (Myosin Va) umfasst und als Ganzes für den Transport der Melanosomen von den Melanozyten hin zu den Keratinozyten benötigt wird); möglicherweise gibt es verschiedene,  rassespezifische Varianten (Demars et al. 2018)

d (d) - verdünntes Melanin. Die Spleißstellenmutation (c.111-5C>A) und/ oder (wahrscheinlicher) die Frameshift-Mutation (c.585delG) des Genorts MLPH verursachen ein stark verkürztes mRNA-Transkript (mit reduzierter Stabilität bei (c.585delG)) und in Folge ein verkürztes, funktionsloses Protein - die Melanosomen verklumpen und ihr Transport ist gestört. Es resultiert eine Farbverdünnung im Haar (schwarz zu blau, braun zu feh oder rot zu gelb, bzw. gelb zu creme), und auch die Augenfarbe ist betroffen (Lehner et al. 2013; Fontanesi et al. 2014b; Demars et al. 2016; Demars et al. 2018; Übersicht in Dorozynska & Maj 2020; OMIA 000031-9986).

A_B_C_d_G_: Blaugrau oder Perlfehfarbig;
A_B_C_d_g_: Blau;
A_B_c_d_G_: Luxfarbig;
A_B_c_d_g_: Fehfarbig;

Die erste Kaninchenrasse, die auf einfarbig blau (d/d) selektiert wurde, war Blaue Wiener. 

Modifizierende Gene könnten die Farb-Intensität bei Verdünnung beeinflussen (Demars et al. 2018), z.B. wie bei blauen Van Beveren weiter reduzieren (Robinson 1958). Und auch (noch unbekannte) Varianten des MLPH-Genorts könnten die Produktion eines nicht funktionsfähigen MLPH-Proteins verursachen und zur Veränderung der Fellhaarfarbe beitragen (Demars et al. 2018).

Lehner et al. (2013) konnten bei ihrer klinischen Untersuchung von Tieren mit verdünnter Fellhaarfarbe (n=6 aus 23 Zwergkaninchen und ihren Kreuzungen) keine Defekte feststellen, die mit diesem Phänotyp einhergehen könnten, wie Alopezie oder sonstige Anomalien der Haut, welche bei Hunden bekannt sind.



Leuzismus und Weißscheckung

Leuzismus beschreibt die Abwesenheit von pigmentbildenden Zellen in Haut und Haarfollikeln. Scheckungsmuster können auf abgeschwächte Formen des Leuzismus zurückzuführen sein (unvollständiger Leuzismus). Sie unterliegen mehr oder weniger dem Zufall, sind jedoch durch strenge Selektion beeinflussbar.

Vorläuferzellen der Melanozyten sind die Melanoblasten, welche im frühembryonalen Stadium aus der Neuralleiste - vom Rücken in Richtung Bauch - bis hin zu ihrem Zielgewebe (Haut, Haarfollikel, Iris der Augen oder auch Innenohr) auswandern. Dort angelangt, vermehren sich die Zellen in alle Richtungen, bis sie auf benachbarte Zellen treffen und so z.B. die gesamte Körperoberfläche ausfüllen (Stenn & Paus 2001).
Es können nur solche Körperregionen pigmentiert sein, in denen Melanozyten, bzw. Melanozyten-Stammzellen angesiedelt sind, während Regionen mit einem Mangel an Melanozyten(-Stammzellen) weiß bleiben. Gene oder Regulationsmechanismen, die weiße Abzeichen verursachen, sind demnach direkt oder indirekt an der Entwicklung, Migration oder Differenzierung der pigmentbildenden Zellen beteiligt (Grichnik 2006; Hoekstra 2006).


KIT-Locus (English Spotting Locus)

Eine Schlüsselrolle bei diesem Vorgang spielt der Genort (c-)KIT (cellular receptor tyrosine kinase; OCU15), welcher mit dem Allel "k" einen Transmembran-Rezeptor mit intrinsischer Tyrosinkinase-Aktivität codiert. Binden bestimmte Wachstumsfaktoren an den Rezeptor, werden Signalübertragungskaskaden ausgelöst, welche die prä- oder perinatale Entwicklung, Wanderung, Proliferation oder Differenzierung von Zellen, z.B. der Melanoblasten, beeinflussen. KIT kann weiters im Rahmen des postnatalen Haarzyklus für die Aktivierung der Melanozyten erforderlich sein und die Melanogenese wesentlich beeinflussen (Botchkareva et al. 2001; Peters et al. 2003; Hu et al. 2020). Außerdem wird KIT in den weiblichen Eizellen und in bestimmten Zellen des Gastrointestinaltrakts exprimiert, die essentiell für die Darmmotilität sind (Hutt et al. 2006; Fontanesi 2021; OMIA 000209-9986)

... the KIT receptor cannot be viewed as a simple on/ off switch, but has complex regulatory roles.
(Grichnik 2006)

Mit Mutationen des KIT-Genorts assoziierte Eigenschaften: 

  • K (En) - Punkt- oder Mantelscheckung (OMIA 001597-9986); unvollständig-dominant. Das Allel "K" verursacht einen Mangel an Melanozyten und damit eine weiße Fellhaarfarbe an betroffenen Körperregionen. Dabei wird das Zeichnungsmuster der spalterbigen Typschecken vermutlich von zahlreichen Modifikationsgenen oder Regulationsmechanismen beeinflusst (Oertel & Spörer 1970; Niehaus 1987; Fontanesi et al. 2014).
    (Europäische) Mantelschecken sind eine besondere Selektionsvariante der Punktschecken.
    Scheckenzucht, bei der möglichst viele Nachkommen eine standardgemäße Zeichnung aufweisen, funktioniert in der Regel nur über geordnete Linienzucht (mäßiger oder schwacher Verwandtschaftsgrad). Dagegen unterliegt die Zeichnung des Nachwuchses von zufällig zusammen gestellten, "blutsfremden" Zuchtpaaren eher dem Zufall (Niehaus 1987; Majaura 2022/3)
    Reinerbige Punktschecken (K/K im Genotyp) weisen einen übermäßig großen Weißanteil (mit unterbrochenem Aalstrich und gespaltenem Schmetterling) auf und werden demnach als Weißlinge oder Chaplins bezeichnet.
    Ideal (lt. Standard) gezeichnete Tiere sind trotz guter Zuchtplanung eher selten - in der Ausstellungszucht müssen also relativ viele Jungtiere aufgezogen (!) werden. 
  • Erkrankung Megacolon-Syndrom: Das (europäische) Scheckengen K ist eng mit einer Funktionsstörung des Darms (OMIA 000629-9986) assoziiert: Bei reinerbigen Weißschecken (K/K) wurden im Vergleich zu vollpigmentierten Schecken (k/k) krankhaft veränderte Zellen im Darm einschließlich einer reduzierten Expression von KIT festgestellt (Fontanesi et al. 2014; Fontanesi 2021). Weißlinge (insbesondere bei Riesenschecken) haben oft eine stark verkürzte Lebenserwartung - viele versterben innerhalb des ersten Lebensjahrs (siehe auch Robinson 1958; Oertel & Spörer 1970). Demnach ist ihre Zucht äußerst kritisch zu betrachten (TierSchG § 5 (2)).
    Die Ausbildung oder der Schweregrad der Erkrankung können allerdings mit der zugrunde liegenden Genetik oder Epigenetik variieren. Mittels einer angemessenen genetischen Varianz - durch Vermeidung von (enger) Inzucht - können möglicherweise andere Gene epistatisch korrigierend wirken und die Ausbildung klinischer Symptome unterdrücken. So können z.B. zusätzliche Faktoren der Plattenscheckung (s.u.) gesunde Weißlinge hervorbringen (https://originalkleinrex.hpage.com/, Abruf 01/2023), und Ballan et al. (2023) spekulieren über eine potentiell epistatische Wirkung des Gens PTPN2. Auch eine geeignete Ernährung und eine auf Tierwohl fokussierte Haltung (Hygiene, Stressreduktion) können in diesem Zusammenhang wesentlich sein (Robinson 1958; Oertel & Spörer 1970; Fontanesi et al. 2014; Fontanesi 2021; Majaura 2022/3; weitere, anekdotische Berichte)
    Zur Identifikation der für Megacolon ursächlichen Mutation wäre eine vollständige Charakterisierung von KIT sowie angrenzender DNA-Abschnitte notwendig (Fontanesi et al. 2014; Fontanesi 2021). Möglicherweise hat auch die 3D-Struktur des KIT-Locus Einfluss auf die Ausprägung des pathogenen Phänotyps (Kabirova et al. 2022).
    Der RÖK und der ZDRK empfehlen, heterozygote Typ-Punktschecken vorrangig mit homozygoten, vollpigmentierten Tieren zu verpaaren (Brandl 2021; Winkens 2018/7; Majaura 2018/10; Majaura 2022/3).
  • s (du) - Holländer-/ Plattenscheckung (OMIA 001922-9986); zugrunde liegende Variante(n) bisher nicht identifiziert. Vermutlich spielen auch modifizierende Gene eine Rolle bei der Ausprägung der Scheckung (Castle 1924; Castle 1924b; Castle 1926; Robinson 1958; Searle 1968; Fontanesi 2021; Fontanesi 2021b)
    Es ist kein Zusammenhang mit körperlichen Defekten bekannt (kein angeborenes Megacolon).
    Holländerfaktoren können eine Anomalie der Iris-Pigmentierung (Heterochromie; vollständig oder sektoriell blau) verursachen, die z.B. bei Rassen wie Chinchilla, Weiße Hotot oder Weiße Wiener beobachtet wurde und in der Regel keine klinische Bedeutung hat (Castle 1926; Robinson 1958; van Praag 2022/6).
    Ein Zusammenhang mit dem V-Locus (s.u.) ist möglich, bisher jedoch nicht bestätigt.

Fontanesi et al. (2014) spekulieren, dass komplexe regulatorische Mutationen insbesondere in der Promotor-Region des KIT-Gens für die große Variabilität der Scheckungsmuster verantwortlich sein könnten.

*: nach Robinson (1958, unveränderte Abbildungen)


V-Locus (Vienna White Locus)

Klassischer Leuzismus zeichnet sich beim Kaninchen durch vollständig weißes Fell und blaue Augen aus (OMIA 001868-9986). Ein bekannter Vertreter ist das Weiße Wienerkaninchen.
Das verursachende Gen "x" wird rezessiv vererbt - liegt es allerdings homozygot vor, wirkt es epistatisch in einer höheren Ebene des Pigmentierungsprozesses, so dass die die Entwicklung, Migration oder Funktion der Melanozyten in der Haut beeinträchtigt werden. Das Tyrosinase-Gen wird nur im Auge, nicht jedoch in der Haut transkribiert (Aigner et al. 2000). In Kombination mit dem TYRP1-Allel "c" (braun) können die Augen rötlich erscheinen (Robinson 1958; Proorocu et al. 2019).

"X" ist in der Regel unvollständig dominant und so können bei Heterozygotie (X/x) weiße Abzeichen auftreten - welche allerdings nicht vorhersagbar und damit in der organisierten Rassezucht unerwünscht sind.

Eine Assoziation mit der Plattenscheckung (s.o.) ist möglich, denn bei der Herauszucht von Weißen Wienern waren Holländer-Schecken beteiligt, und Kreuzungen von weißen Blauaugen mit einfarbigen Tieren können Nachzuchten mit typischen Holländerabzeichen ergeben, d.h. weiße Blauaugen können möglicherweise Holländerfaktoren vererben (Castle 1922; Will 1931, zitiert nach Möbes 1946;  Joppich 1969; Majaura 2016/1; siehe auch Robinson 1951). Tatsächlich wurde der V-Locus bisher noch nicht identifiziert (Fontanesi 2021).

Gesundheitliche Bedeutung: Laut Nachtsheim (1939 und 1941, zitiert nach Robinson 1958 und Fontanesi 2021b) und Searle (1968) können leuzistisch weiße (x/x) Kaninchen zu epileptischen Anfällen neigen (siehe auch Proorocu et al. 2019; van Praag 2021/7 und 2022/6; OMIA 000093OMIA 000344). Vermutet wird eine gekoppelte Vererbung mit dem V-Locus, das ursächliche Gen wurde noch nicht identifiziert, bzw. die zugrunde liegenden Regulationsmechanismen sind bisher unbekannt. "It is possible to obtain Vienna white families devoid of the epilepsy." (Robinson 1958).



Vermutlich können viele weitere Gene oder Regulationsmechanismen mit Leuzismus in Verbindung stehen, z.B.:

MITF

MITF (melanocyte inducing transcription factor/ microphthalmia-associated transcription factor, OCU9) ist ein Schlüsselregulator in der Melanogenese - er dient als Transkriptionsfaktor für TYR und seine Verwandten (TYRP1/2), d.h. das Ausschalten kann eine signifikante Reduktion dieser Enzyme verursachen. Außerdem ist MITF an der Entwicklung der Melanozyten beteiligt (Hu et al. 2021; Jia et al. 2021).
In der Region von MITF wurde eine genomische Signatur (selection signature) bei Tieren der Rassen Weiße Riesen und Champagne d'Argent identifiziert (Ballan et al. 2022; Ballan et al. 2023).

KITL

KITL (KIT-Ligand) könnte mitverantwortlich für das typische Scheckungsmuster von Punktschecken sein.
Eine genomische Signatur wurde bei Riesenschecken und Dreifarbenschecken (Ballan et al. 2022), sowie bei albinotischen Rassen (Ballan et al. 2023) identifiziert.

EDNRA oder EDNRB

In der Region von EDNRA (endothelin-receptor-A) wurde eine genomische Signatur bei Thüringern (Ballan et al. 2022) und Riesenschecken (Ballan et al. 2023) identifiziert.

EDNRB (endothelin-receptor-B, OCU8) kann möglicherweise das Scheckungsmuster bei Dreifarbenschecken beeinflussen (Position der farbigen Punkte) (Ballan et al. 2022)). Auch bei Weißen Riesen, Champagne d'Argent und Farbenzwergen wurde eine genomische Signatur identifiziert (Ballan et al. 2023).

Endotheline (Peptidhormone)

PAX2 

In der Region von PAX2 (paired box 2) wurde eine genomische Signatur bei Weißen Riesen identifiziert (Ballan et al. 2023).

PAX3 

(paired box 3; OCU7)

SOX10

(SRY-box transcription factor 10; Scaffold GL018972)

FGF-x 

(fibroblast growth factors)


(Siehe auch Yoshida et al. 1996 - Studie mit Mäusen.)


Weitere Scheckungsmuster


Hotot (weiß mit schwarz eingefassten Augen und brauner Iris): Kombination von Platten- und Punktscheckung (Kkss); teilweise auch Xx aufgrund Einkreuzung von Weißen Wienern in der Vergangenheit; mit der Plattenscheckung wird die Zeichnung der Punktscheckung unterbunden (weiße Blesse der Plattenscheckung verdrängt Schmetterling der Punktscheckung); Chaplins (z.B. mit schmaleren, unterbrochenen oder fehlenden Augenringen) sind von Typ-Hotots aufgrund fließender Übergänge optisch teils nur schwer zu unterscheiden (Walks 2022/82; Majaura 2019/7).

Wo - Weißohrscheckung; Genort bisher nicht identifiziert, vermutlich mit KIT assoziiert; neben weißen Ohren treten eine weiße Nase, weiße Pfoten, sowie ein farbiger Mantel auf.

Auszug der Kreuzungsversuche von Schmitt (2020/8):

Wo/Wo (weiß) x wo/wo (vollpigmentiert): Wo/wo (Typ-Weißohren)
Wo/wo x Wo/wo: Wo/Wo // Wo/wo // wo/wo
Wo/wo, k/k (Typ-Weißohr) x wo/wo, K/k (Typ-Punktschecke): Wo/wo, k/k (Typ-Weißohr) // wo/wo, K/k (Typ-Schecke) // Wo/wo, K/k (weiß) / wo/wo, k/k (vollpigmentiert).

Bei Weißohr-Weißlingen (Wo/Wo) ist kein angeborenes Megacolon zu erwarten, sofern keine Punktschecken eingekreuzt wurden.

Königsmantelscheckung (dreifarbige, sehr dicht gepunktete Mantelscheckung bei Rexfell): Ergebnis der Kreuzung von amerikanischer und europäischer Mantelscheckung mit Japanerfaktor (Caldwell 2016/3; Friedrich 2021/10); siehe auch entsprechende Seiten unter https://originalkleinrex.hpage.com/ oder https://www.kleinrexkaninchen.com/; sehenswerte Bilder: https://www.rexkaninchenvondertalsperre.de/.

Dalmatiner Kombination von Platten- und Punktscheckung (Majaura 2017/8); siehe auch entsprechende Seiten unter https://originalkleinrex.hpage.com/.


Taubheit

Alle Gene, welche die Entwicklung, Wanderung oder Differenzierung der Melanozyten stören und damit zu einem Mangel an ihrem eigentlichen Bestimmungsort führen, können potentiell körperliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Insbesondere ein Mangel im Kopfbereich kann problematisch sein. Denn neben der pigmentbildenden Funktion in der Haut haben Melanozyten auch eine wichtige Bedeutung für den Hörsinn, da sie offenbar an der Umwandlung von Geräuschen in elektrische Impulse und deren Weiterleitung zum Gehirn beteiligt sind (Searle 1968; Ullmann 2009).
An einem Hörverlust beteiligt könnten z.B. Varianten des V-Locus oder der Transkriptionsfaktoren MITF oder EDNRB
 sein. Auch KIT wäre ein möglicher Kandidat - allerdings wurde beim Kaninchen noch kein Zusammenhang mit Taubheit beschrieben. Möglicherweise spielt ein Zusammenspiel mehrerer - auch bisher unbekannter - Gene oder Regulationsmechanismen eine Rolle, welches großteils noch nicht ausreichend verstanden ist (Strain 2015).

Kaninchen mit leuzistisch weißen Abzeichen im Kopfbereich haben ein gewisses Risiko für Taubheit - die in der Praxis wohl aber nur selten beobachtet wird.

(Im Gegensatz dazu führt Albinismus nicht zu Taubheit.)


Weitere Modifikationsgene

P (Si) - Silberung (OMIA 002010-9986). Jungtiere werden ohne Silberung geboren - diese erscheint erst mit dem Haarwechsel: die nachwachsenden (Deck- oder Grannen-)Haare bleiben farblos (Robinson 1958; Searle 1968). Möglicherweise werden reife Melanozyten mit dem Haar abgestoßen (Quevedo & Chase 1957, zitiert nach Searle 1968; Majaura 2016/6). Weil diese aber meist die Katagenphase des Haarzyklus sowieso nicht überleben und bei jedem Anagen neue, unreife Melanozyten aus einem Melanozyten-Stammzell-Pool rekrutiert werden (siehe Tobin et al. 2005), ist das Ergrauen wahrscheinlich eher auf eine Verarmung an (funktionierenden) Melanozyten-Stammzellen im Haarfollikel zurückzuführen. Verschiedene Genloci und deren Varianten mit komplexem Zusammenspiel sind möglich, bisher jedoch nicht eindeutig identifiziert (Fontanesi 2021). Mögliche Kandidaten wären ADNP2 (Einfluss auf Zelltod), NFATC1 (Einfluss auf Alterungsprozesse in Haarfollikel-Stammzellen) (Ballan et al. 2022) oder MITF (Ballan et al. 2023), welche in der Umgebung des Haarfollikels exprimiert werden.

Y - Gelbverstärkung. Verschiedene, bisher nicht identifizierte Genloci ("pheomelanine intensity loci") und ihre Varianten mit summierender Wirkung resultieren in variierender Intensität von Phäomelanin im Haar; fehlende blaue Unterfarbe (Robinson 1958). Die Intensität kann mit dem Alter abnehmen. 
Rassen-Beispiele: Hasenkaninchen oder Deilenaar, Sachsengold oder Rote Neuseeländer, Lohkaninchen.

w - Breitband. Verbreiterung der Zwischenfarbe auf Kosten der Unterfarbe; bekannt seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts (Robinson 1958); verschiedene Varianten möglich, bisher nicht identifiziert. Möglicherweise an den Agouti-Locus gekoppelt (Castle & Sawin 1941; Fontanesi 2021; Fontanesi 2021b). Grundsätzlich können verschiedene Signalmoleküle, z.B. BMP (bone morphogenetic proteins), den Wechsel zwischen Eumelanogenese und Phäomelanogenese beeinflussen (aus: Tobin et al. 2005).

lu (re) - Lutino (red eye). (OMIA 002008-9986). Aufgehelltes (z.b. gelbwildfarbiges) Fell, rote Augen; keine oder reduzierte Bildung von dunklem Eumelanin.
Die Mutation ist seit 1952 bekannt (Magnussen 1952, zitiert nach Fontanesi 2021c und Paist & Migdal 2023)
Gesundheitliche Bedeutung: siehe Albino, bzw. Teilalbino. 

Möglicherweise assoziiert mit OCA2 (melanosomal transmembrane proteinoculocutaneous albinism type 2, OCU17); (Maus-Analog: Locus P (pink-eyed dilution))(?). 
In der Region von OCA2 wurde eine genomische Signatur bei Riesenschecken identifiziert (Ballan et al. 2022; Ballan et al. 2022b; Ballan et al. 2023)

Weitere interessante Möglichkeiten der (Albino-)Weiß-Färbung

achi_lulu, luluvv, an_vv, WowoKklulu: weiß mit roten oder pinken Augen;
an_b_ weiß mit hell-rauchigfarbigen Extremitäten und pinken Augen.


Haarlänge und -struktur

VFu/ m/ Rex/ Sa Normalhaar

Langhaar

v (l) - Langhaar (Angorakaninchen) (OCU15; OMIA 000439-9986 (Länge); OMIA 001528-9986; ↗OMIA 002687-9986 (Wollvlies)). Ein rezessiver Vererbungsmodus wurde zum ersten Mal von Castle (1903, bzw. 1905) für das durchschnittlich etwa 13 Wochen oder je nach Zuchtlinie auch permanent (vs. 4-6 Wochen bei Normalhaar) andauernde Haarwachstum beschrieben. Anfang der 1920er Jahre wurde eine gekoppelte Vererbung mit KIT (Punkt-/Holländerscheckung) festgestellt (Castle 1924b; Castle & Sawin 1941). Später konnte eine enge Kopplung mit dem Genort FGF5 (fibroblast growth factor 5) gezeigt werden, der als ein wichtiger Regulator des Haarwachstums bei Säugetieren gilt (Fontanesi et al. 2014; Mulsant 2004; Stenn & Paus 2001) - die Langhaarigkeit bei Angorakaninchen kann mit einer Missense-Mutation des FGF5 (OMIA:000439) assoziiert sein, aufgrund derer dessen Bindungsfähigkeit an den Rezeptor FGFR1 (fibroblast growth factor receptor 1) beeinträchtigt und damit die Anagenphase signifikant verlängert wird (Fatima et al. 2023).

Auch weitere Genorte oder nicht-codierende RNAs (ncRNAs) können eine wesentliche regulierende Rolle im veränderten Haarzyklus sowie für die wollige Haarstruktur ("Wollvlies") spielen (Chen et al. 2018; Zhao et al. 2018; Ding et al. 2019; Zhao et al. 2019; Chen et al. 2021; Huang et al. 2023; Huang et al. 2024; MSX2, CERS6, HDAC9, RASA1 und CLDN18 laut Xie et al. 2024).
Bedingt durch das lange Haar erscheint dessen Farbe oft blasser als bei Normalhaar (wenn die absolute Menge an Pigmenten gleich ist).
Kaninchen mit Langhaar verbreiteten sich möglicherweise bereits ab dem 16. Jahrhundert, nachweislich jedoch ab dem 18. Jahrhundert ausgehend von England ("Seidenhasen") nach Frankreich, Deutschland, Österreich und Holland (Nachtsheim & Stengel 1977; Niehaus 1987; Allain 2021).

Tipps zur Schur von Angorakaninchen: Sander (2021/2).
Weitere Informationen: https://www.bonsai-bunnies.de/https://www.angorakaninchen.club

(siehe auch OMIA 002001: Felltuffs an den Ohrspitzen von Angoras, "Fu")

fu - Langhaar (Fuchskaninchen) ("Cashmere" bei Widdern); insbesondere verlängertes Grannenhaar; glattes, glänzendes Fellhaar ohne Wollvlies. Umhaarungen, inbesondere die erste Umhaarung vom Baby- zum Erwachsenenfell, müssen vom Züchter unterstützt werden, um Filzbildung zu vermeiden (Krause 2023/5).

M - Löwenmähne bei Löwenköpfchen; unvollständig dominant; im Langhaarbereich gehemmtes Wachstum von Grannen- und Deckhaaren, jedoch verlängertes Unterhaar; bekannt seit den 1990er Jahren (Ruble 2019/1; Majaura 2022/9); zugrunde liegende Variante bisher nicht identifiziert (Fontanesi 2021).
Anmerkung: Bei Rasse-Löwenköpfchen spielt der Zwergfaktor dw (s.u.) keine Rolle (Majaura 2022/9)

M / z Mähne / Fellzonierung ("Rumpfabzeichenzone") (Mähne, Flankenbehaarung und Bart dunkel gezeichnet) bei Genter Bartkaninchen; M unvollständig dominant, z rezessiv; bekannt seit 1956 (Ruble 2019/1); zugrunde liegende Variante(n) bisher nicht identifiziert.

Langhaar (Jamora) (angoraartig); Jamora entstanden aus Kreuzungen von Japaner, Hermelin und Angora.

Teddy - rezessives Allel, möglicherweise ohne Verbindung zum Angora-Locus; zugrunde liegende Variante(n) bisher nicht identifiziert (Fontanesi 2021b); möglich wäre z.B. eine Kombination aus "Fuchs-Langhaar" und Löwenmähne.

 

Kurzhaar

rex - Rex r1 ("Französisch-Rex" oder "Gillet-Rex"; OMIA 001566-9986): LIPH (Lipase Member H, OCU14) katalysiert die Synthese von 2-acyl lysophosphatidic acid (LPA), welche z.B. Muskelkontraktion oder Zellteilung und -bewegung beeinflussen kann. Eine homozygot vorliegende LIPH-Mutation führt zu einer reduzierten Expression von LIPH in den Haarfollikeln der Haut; in Folge sind Deck- und Grannenhaar (inklusive Tasthaare) verkürzt, strukturell verändert und im Durchmesser reduziert (Diribarne et al. 2011; Diribarne et al. 2012).  

Unterschiedliche Rex-Phänotypen können durch weitere Gene (z.B. CCNA2, OCU15), additive Effekte oder epigenetische Regulationsmechanismen verursacht werden - historisch bekannt sind die Faktoren r2 und r3, über deren potentiell weitere Verbreitung keine Erkenntnisse vorliegen:

r2 "Deutsch-Kurzhaar" (oder: "Wollrex"; persianerartiges, welliges Kurzhaar mit gekräuselten Haarspitzen; OMIA 002005-9986; gekoppelt mir r1); vergleichbare Züchtung aus England: "Astrex"; 

r3 "Normannen-Kurzhaar" (OMIA 002006-9986; nicht gekoppelt mit r1/r2)

(Castle & Nachtsheim 1933; Joppich 1969; siehe auch Lienhart 1962, zitiert nach Fontanesi 2021b; Searle 1968; Chen et al. 2011; Chen et al. 2018; Ding et al. 2019; Xie et al. 2024)

Gelegentlich haben Rexkaninchen (über einen begrenzten Zeitraum) gewelltes Haar - dies kann sowohl bei Jungtieren als auch erst bei erwachsenen Tieren (z.B. ab einem Alter von etwa 18 Monaten) vorkommen. Auch ein zeitlich begrenzter Verlust der gesamten Behaarung wird manchmal bei Jungtieren beobachtet (Robinson 1958; laut anekdotischen Berichten auch bei anderen Haartypen möglich). Die kausalen Faktoren wurden bisher nicht identifiziert. 
Die Farbe von kurzen Haaren erscheint intensiver als bei Normalhaar.
Kaninchen mit kurzem Rexhaar sind seit den 1920er Jahren aus Frankreich (r1, r3) und Deutschland (r2) bekannt (Robinson 1958; Joppich 1969).

Gesundheitliche Bedeutung: Vollständig fehlende Tasthaare sind durch züchterische Selektion zu vermeiden (TierSchG § 5 (2)).


Satin

sa - Satin (OMIA 002009-9986); seidiges, glänzendes Haar mit erhöhter Sichtbarkeit der Haarpigmente aufgrund veränderter Struktur des Haarschafts; laut Robinson (1953) vermutlich NICHT mit den Genorten TYR, TYRP1 (OCU1), MC1R (Un0267), ASIP (OCU4), KIT, Angora-Langhaar (OCU15), Rex ("r1", "r3"; OCU14) oder Felllosigkeit gekoppelt. Bildung sowie zyklische Regeneration der Haarfollikel sind sehr komplex reguliert - die kausale Variante wurde bisher noch nicht identifiziert (Fontanesi 2021; Fontanesi 2021b).

Satinhaar ist seit den 1930er Jahren aus den USA bekannt. 

Gesundheitliche Bedeutung: Gemäß anekdotischen Berichten könnten Kaninchen mit Satinhaar übermäßig anfällig für Zahnfehlstellungen sein (nicht bestätigt).


Sonstige

f - "Felllosigkeit" Vorzeitige Verhornung (Keratinisierung) der Haare in der Epidermis; nur die Deckhaare werden ausgebildet; wurde in einer Inzucht-Population beobachtet; autosomal rezessiv (Castle 1933; OMIA 002002).

n - Nacktheit, Haarlosigkeit Wenn das Haarwachstum im Alter von etwa ein bis zwei Wochen beginnt, wächst Haar nur im Schnauzenbereich, an den Ohrspitzen, an der Rückseite der Beine, im Schulterbereich, bzw. der Rumpf ist nur spärlich behaart, die Stirn ist nackt; einhergehend mit reduzierter Vitalität oder Zahndefekten; wurde in einer Inzucht-Population beobachtet; autosomal rezessiv (Kislovsky 1928; OMIA 000700).

Fehlendes Haar, ggf. in Verbindung mit Missbildungen der Kiefer und Zähne oder frühzeitigem Tod, könnte z.B. durch einen Defekt des Gens Bmpr1a (bone morphogenetic protein receptor type 1A) verursacht werden, welches indirekt regulierend auf den Haarzyklus oder die Entwicklung der Zähne wirkt (Andl et al. 2004). Auch Fam83h (family with sequence similarity 83 members H) wäre ein möglicher Kandidat (Zhang et al. 2022). Die Entwicklung der Haarfollikel ist jedoch sehr komplex reguliert, und so können viele weitere Gene oder Regulationsmechanismen Haarlosigkeit (oder Zahnfehler) verursachen.

Es gibt bisher keinen Hinweis auf eine Kopplung mit dem Rexfaktor "r1" (Gruaz & van Praag 2020; Fontanesi 2021b).

Haarlosigkeit ist aufgrund der gehemmten Jungtierentwicklung in der organisierten Rassekaninchenzucht ohne Bedeutung (Majaura 2022/9).

Sonstige (Defekt-)Merkmale


Zähne oder Skelett betreffend

dw - "Zwergfaktor" (OMIA 000299-9986); Dw (Wiltyp) autosomal unvollständig-dominant.
Der Zwergfaktor wurde erstmals in Amerika unter den Nachkommen von eng miteinander verwandten "Polish"-Zwergkaninchen festgestellt (Greene, Hu & Brown 1934). Castle & Sawin (1941) stellten eine gekoppelte Vererbung mit ASIP fest.
Als wahrscheinlich kausale Variante wurde eine LOF(loss-of-function)-Mutation des Gens HMGA2 (High-mobility group AT-hook 2, OCU4) identifiziert: eine Deletion von ∼12.1 kb führt zur Inaktivierung des Gens. 
HMG-Proteine wie HMGA2 nehmen insbesondere während der Embryonalentwicklung Einfluss auf die Chromatinstruktur und damit auf die Zugänglichkeit regulatorischer Faktoren zur DNA. Somit können sie eine bedeutende Rolle in der Regulierung des Körperwachstums spielen (v.a. Fett-/Muskelgewebsbildung) (Carneiro et al. 2017; Vignali & Marracci 2020).

Reinerbige Zwerge (dw/dw) haben eine extrem reduzierte Körpergröße - sie wiegen bei ihrer Geburt weniger als die Hälfte ihrer Dw/Dw Geschwister - und leiden unter einer krankhaften Einlagerung von Calcium-Salzen im Schädelknochen, welche sich in einer abnormen Kopfform äußert - sie versterben nur wenige Tage nach der Geburt (homozygot-letal), weshalb eine solche Zucht laut TierSchG § 5 (2) verboten ist.
Auch bei heterozygoten (Dw/dw) Individuen verursacht dw neben dem Zwergwuchs ("Typzwerg") eine veränderte (verkürzte) Schädel-/ Gesichtsform, außerdem kurze Ohren, deren Länge sich ab einem Alter von sieben bis acht Lebenswochen von jenen ihrer Dw/Dw Geschwistern unterscheiden kann (Robinson 1958).

Neben der Rasse Hermelin ist der Zwergfaktor heute z.B. auch bei den Farbenzwergen, die aus den Hermelin hervorgingen (Walks 2018/35), und den Holland/ British Mini Lops relevant, nicht aber bei den (Deutschen) Zwergwiddern oder den Zwerg-Löwenkopf.

Grundsätzlich ist eine Vielzahl an Genen mit komplexem Zusammenspiel an der Ausprägung der Körpergröße beteiligt - mögliche Kandidaten hinsichtlich einer Verzwergung sind z.B. COL11A1, LCORL, NCAPG, COL2A1, GRK5, GATAD2B, ARHGEF2, MEX3A, ZBTB7B, DCST1 und weitere (Carneiro et al. 2017;  Ballan et al. 2022; Ballan et al. 2023; Xie et al. 2024). So gelten Porto Santo-Kaninchen - eine um das Jahr 1420 entstandene Population aus verwilderten Hauskaninchen - als die kleinste, wildlebende Unterart des Europäischen Kaninchens, mit einem Körpergewicht von nur wenig mehr als 500 g (Darwin 1873, zitiert nach Möbes 1946; Nachtsheim & Stengel 1977; Niehaus 1986). Daneben gibt es auch Wildkaninchen in Spanien oder Sizilien, die durchschnittlich nur wenig über 1000 g wiegen (Ferreira et al. 2016; Lo Valvo et al. 2014). Allein eine geringe Körpergröße, bzw. ein geringes Gewicht eines Kaninchens lässt demnach keinen verlässlichen Rückschluss auf eine mögliche Trägerschaft des Faktors "dw" oder von sonstigen Lethalfaktoren zu.

Auch ein möglicher negativer Einfluss von "dw" auf die Entwicklung des Gebisses bei heterozygotem Genotypen (Dw/dw) konnte bisher nicht nachgewiesen werden ("The underlying mechanism [of HMGA2] is still poorly understood." (Carneiro et al. 2017)).


mp - Brachygnathia superior (auch: Mandibuläre PrognathieOMIA 000149-9986); autosomal rezessiv mit unvollständiger Penetranz (auf molekularer Ebene noch nicht identifiziert; möglicherweise polygene Wechselwirkungen/ multifaktoriell). 
Symptome: Anomalie der Schneidezähne durch gestörte Proportionen zwischen Ober- und Unterkiefer (Verkürzung des Oberkiefers): Überstand der unteren über die oberen Schneidezähne. Dieser Defekt wurde bei verschiedenen Rassen/ Phänotypen beobachtet (z.B. Weiße Neuseeländer, Japaner oder Holländer) - für eine in mancher Literatur vermute Kopplung mit dem Zwergfaktor "dw", bzw. kleinen, runden Köpfen, existiert kein Nachweis.

Eine Feststellung von Korn (2016; bzw. Korn, Brandt & Erhardt 2016) lautet: "Fast alle Kaninchen, die in dieser Untersuchung von einem Aufbiss oder einer Brachygnathia superior betroffen waren, gehörten einer mittelgroßen bis großen Rasse an." (n=281; 10 verschiedenen Rassen, darunter Deutsche Widder und Zwergwidder (NHD)).

Eine enge Verwandtschaftszucht kann treibender Faktor sein (Chai 1970; Fox & Crary 1971; bzw. aus: Rühle 2020/63; siehe auch  https://kaninchen-wuerden-wiese-kaufen.de/Zahnfehler).

Siehe auch Hypothese "Dahlem"-Zwergkaninchen, bei denen mandibuläre Prognathie festgestellt wurde, basierend auf einem vom klassischen Zwergfaktor "dw" abweichenden, nicht identifizierten Gen (Robinson 1958; OMIA:001998-9986). Es ist nicht bekannt, ob das entsprechende Allel auch heute noch verbreitet ist.

Erbliche Prognathie kann mit einem Alter von 3 Wochen beginnen (Fox & Crary 1971) und ist oft bereits mit 8 Wochen deutlich ausgeprägt (Nachtsheim 1936; Glöckner 2002); eine weitere Progression (insbesondere im ersten Lebensjahr, bzw. bis das Körperwachstum abgeschlossen ist) ist allerdings möglich (Korn 2016; Korn, Brandt & Erhardt 2016).
Betroffene Kaninchen (mp/mp) benötigen eine regelmäßige Zahnbehandlung und sollten jedenfalls von einer Weiterzucht ausgeschlossen werden (Kontrolle der Schneidezähne vor Zuchteinsatz). Auch Geschwistertiere sollten sorgfältig überprüft werden, und auf eine weitere Verpaarung der beiden Elterntiere ist zu verzichten (TierSchG § 5 (2)).
Ergänzende Anmerkung: Für verlässliche Aussagen bezüglich der Zahngesundheit (inklusive Backenzähne und Zahnwurzeln) ist eine Bildgebung (z.B. Röntgen oder CT) erforderlich (Korn 2016; Korn, Brandt & Erhardt 2016; Borawski et al. 2024).


"Max-Faktor"; rezessiv.
Dieser Defekt ist in etwa seit 1980 bekannt: er wurde in den USA von einem aus Holland importierten Zwergkaninchen namens Max vererbt. Symptome bei Homozygotie: offene Augen bei der Geburt, deformierte Gliedmaßen, besonders weiches Fellhaar (anekdotische Berichte).  


lo - Löffelohr (leicht verengter Ohransatz und rundlich breit geformte Ohrmuscheln); vermutlich X-chromosomal rezessiv: tragen Rammler (mit je einem X und einem Y Chromosom) die lo Mutation (auf dem X-Chromosom), so haben sie Löffelohren; Häsinnen besitzen dagegen nur dann Löffelohren, wenn die Mutation reinerbig (auf beiden X-Chromosomen) vorliegt; Achtung: körperliche Defekte möglich (z.B. verkürzte oder fehlende Blume) *!
In der organisierten Rassezucht werden Löffelohren vermieden. Durch Selektion können wohl ähnliche Ohrformen erzielt werden, die keine körperlichen Beeinträchtigungen mit sich bringen (Majaura 2022/9).

*: Während der frühen Embryonalentwicklung von Säugetieren, bzw. der Differenzierung von Stammzellen, werden in (weiblichen) Zellen mit mehr als einem X-Chromosom alle bis auf eines inaktiviert ("Barr bodies"; Morey & Avner 2011). Welches X-Chromosom aktiv bleibt, ist dem Zufall überlassen, von Zelle zu Zelle unterschiedlich und muss nicht zwingend im Verhältnis 50%:50% erfolgen, sondern kann sich im Bereich 95%:5% bis 5%:95% bewegen. Ein einmal inaktiviertes X-Chromosom bleibt durch epigenetische Regulation in der Regel fortlaufend inaktiv und wird mitotisch an Tochterzellen vererbt. Wenige Gene bleiben trotz X-Inaktivierung aktiv ("Escape Genes").
Erbliche, X-chromosomal bedingte Krankheiten können der Verteilung der X-Inaktivierung entsprechend unterschiedlich schwer ausfallen. (Auch die Verteilung innerhalb bestimmter Organe kann den Schweregrad beeinflussen.) 
https://www.wehi.edu.au/x-inactivation-and-epigenetics


Kraniosynostose
Ungewöhnliche Schädelform durch vorzeitige Verknöcherung einer oder mehrerer Schädelnähte; betroffene Gene: FGFBP1, ITGA3; autosomal dominant, unvollständig penetrant (OMIA 001224).


Brachydaktylie
Anatomische Abnormalitäten, z.B. der Gliedmaßen oder der Ohren, oder auch Abnormalitäten der blutbildenden Gewebe; autosomal rezessiv (OMIA 000146-9986).


Das Auge betreffend

bu - Buphtalmus/ primäres angeborenes Glaukom; ein- oder beidseitig; autosomal rezessiv mit unvollständiger Penetranz, semi-lethal; erste Symptome bereits ab einem Alter von vier Wochen möglich (OMIA 000411; van Praag 2023/1).


Das neuromuskuläre System betreffend

ak (oder sam) - Unkoordiniertes Hoppeln, "Akrobat". Schnelle Fortbewegung ist nur auf den Vorderbeinen möglich, außerdem werden betroffene Tiere blind geboren und entwickeln ab dem ersten Lebensjahr einen grauen Star. Als kausale Variante wurde eine rezessive Spleißstellenmutation in RORB (Retinoid-Related Orphan Nuclear Receptor B; OCU1) identifiziert, welche u.a. Nervenzellen im Rückenmark beeinträchtigt (Carneiro et al. 2021; Boucher et al. 2021; OMIA 001999).  
Dieser Defekt wurde erstmals 1935 beschrieben (Letard 1935).
Für die Grundlagenforschung wurden Embryonen eingefroren (keine Bedeutung in der organisierten Rassezucht).

Fortbewegung mit defektem RORB
Fortbewegung mit defektem RORB


tr (pt) - Tremor; X-chromosomal rezessiv; aus der fehlerhaften Expression des PLP1 (proteolipid protein 1) aufgrund einer Punktmutation resultiert eine Störung im zentralen Nervensystem; variable Ausprägung (siehe Erklärung unter "Löffelohr") - erste Symptome (unkontrollierbare Bewegungsstörungen, Schüttellähmung) können sich bereits während der ersten Lebenswochen bemerkbar machen (OMIA 000770-9986).


Sonstige

yGelbes Fett durch Akkumulation von Xanthophyllen aufgrund fehlendem Enzym in der Leber; betroffenes Gen: BCO2 (OCU1); autosomal rezessiv (OMIA 001079-9986).



Eine Übersicht von (großteils unbekannten) Genorten, die im Zusammenhang mit Defekten oder morphologischen Merkmalen beschrieben wurden, liefert Fontanesi (2021c, Tabelle 8.1). Sie umfasst Übersichtsarbeiten von Castle (1930), Sawin (1955), Robinson (1958) und Fox (1994), sowie weitere Arbeiten, die bis zum Jahr 2021 veröffentlicht wurden. 

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