ZUCHT

Organisierte Rassekaninchenzucht
 

Historie

Ausgehend von der Iberischen Halbinsel und Südfrankreich begann im Mittelalter die Domestikation von Kaninchen mit dem Ziel, sie als leicht verfügbares Nahrungsmittel zu nutzen. Resultierend aus der Haltung von Wildkaninchen in durch Mauern oder Wassergräben begrenzten Gehegen, kleinen Inseln oder Klöstern wurde die Ausprägung bestimmter Charakteristika gefördert: Ab dem 16. Jahrhundert wurden in Frankreich, Italien, Belgien und England neben der Wildform Kaninchen mit abweichenden Fellhaarfarben, mit Langhaar oder auch größere Kaninchen beschrieben. Auch seine weltweite Verbreitung verdankt das Europäische Kaninchen dem Menschen (Silzheimer, Baege und Lampert, zitiert nach Will 1931; Möbes 1946; Nachtsheim & Stengel 1977; Searle 1968; Lebas et al. 1997; Jamieson et al. 1999; Carneiro et al. 2011; Carneiro et al. 2014; Alves et al. 2015; Fontanesi 2021b)

Carneiro et al. (2011) schätzen, dass beim initialen Domestikationsprozess im Mittelalter nur ca. 1200 Individuen beteiligt waren.

Die vier (Haus-)Kaninchenrassen von Ende des 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts: Aus den wilden "Gehegekaninchen" gingen - vor allem in Frankreich und England - die "Stallkaninchen" hervor. Diese waren weniger scheu und meist größer als die Urform sowie neben wildfarbig in den Farben weiß, schwarz, gelb, blau oder mit Plattenscheckung vertreten. Von den Stallkaninchen wurden Angorakaninchen ("Seidenhasen") und "Pelzkaninchen" als eigene Rassen unterschieden, die vorrangig der Fellproduktion dienten. Zu den ersten Unterrassen der Pelzkaninchen zählten Weiße Kaninchen (Albino oder russenfarbig) und Silberkaninchen. Auch Kaninchen mit (einseitig oder beidseitig) hängenden Ohren waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter den Stallkaninchen bereits bekannt (Grund & Holle 1757; Boitard 1845, zitiert nach Möbes 1946; Delamer 1854; Möbes 1946; Joppich 1969; Nachtsheim & Stengel 1977).

Mit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der selektiven Kaninchenzucht (sowohl Nutz- als auch Sportzucht) allmählich eine größere Bedeutung zugemessen. Zunächst wurden in England und Frankreich Silberkaninchen, in England Englische Widder (ab ca. 1810), etwas später in Frankreich Französische Widder (ab den 1840er Jahren) und in Belgien Belgische Riesen heraus gezüchtet. In Österreich (bzw. Österreich-Ungarn), Deutschland sowie weiteren europäischen Ländern stieß die Rassekaninchenzucht ab den 1870er Jahren auf zunehmendes Interesse *. Bis zur Jahrhundertwende wurden aber immer noch viele Kreuzungen mit den damaligen Haus- oder Landkaninchen vorgenommen.
*: Detail am Rande: Ab dem Jahr 1874 wurde in Deutschland mit "Blätter für Kaninchenzucht" die erste Fachzeitschrift für die Zucht von Kaninchen herausgegeben, welche ab Ende 1874 auch in Österreich-Ungarn, in der Schweiz und weiteren Ländern gelesen wurde. In Österreich-Ungarn wurden damals einzelne Artikel über Kaninchenzucht in den Zeitschriften "Prager Biene" (ab etwa 1872) und in der "Allgemeinen Geflügelzeitung" (ab 1882) veröffentlicht.
Nach und nach gewann die Betonung typischer Rassemerkmale weiter an Bedeutung, und insbesondere Deutschland hatte eine Vorrangstellung bei der Herauszucht verschiedenster Rassen (Boitard 1845, Eckardt 1874, Duncker 1875 und Kálal 1944, zitiert nach Möbes 1946; Möbes 1946; Joppich 1969; Nachtsheim & Stengel 1977).  

Mit der Gründung von Zuchtvereinen und -verbänden ab Ende des 19. Jahrhunderts - z.B. dem "Erster österreichischer Kaninchenzuchtverein" (1875) oder dem "Bund deutscher Kaninchenzüchter (BDK)" (1892) - sowie den ersten Rassekaninchen-Ausstellungen, z.B. 1875 in Österreich, 1885 in Chemnitz (BDK; gezeigte Rassen: Belgische Riesen, Französische Widder, Silberkaninchen, Russenkaninchen und Angorakaninchen) oder 1889 in Frankreich (Pariser Weltausstellung; gezeigte Rassen: u.a. Japaner), wurden standardisierte Beschreibungen für Rassekaninchen eingeführt (Russo 1921 und Stang & Wirth 1926-1932, zitiert nach Möbes 1946; Joppich 1969).

Die Bezeichnung der verschiedenen Kaninchenrassen beruht meist auf charakteristischen äußeren Merkmalen, hauptsächlich Fellhaarfarbe, -länge, -struktur, Körpergröße oder Ohrlänge.


Bild: Einige Kaninchenrassen des 19. Jahrhunderts
Aus K. W. Knight (1889), The book of the rabbit. Zur Verfügung gestellt vom Natural History Museum, London (England)


Dissertation zum Thema: 

  • Salaschek, I. (2009). Vom Notstandstier zum Wohlstandstier: Kaninchenhaltung in Deutschland. TiHo Hannover.


Erhaltungszucht  

Verantwortungsbewusstes Züchten nach Rassestandard bedeutet ein Verpaaren von sorgfältig ausgewählten, zuchtreifen Kaninchen zur Förderung oder Erhaltung typischer Merkmale unter Berücksichtigung des Tierwohls. Dazu zählen  geringe Jungtier-Verluste, Krankheitsresistenz (Zuchtausschluss von immunschwachen, stressanfälligen Tieren), Erhalt der Rasse-spezifischen genetischen Vielfalt, sowie die Vermeidung von Übertypisierung (phänotypische Extremmerkmale) oder Erbkrankheiten.

Unter dem Aspekt der Ernährungssicherheit - z.B. für den Fall einer notwendigen Anpassung an den Klimawandel - stößt die Forderung nach dem langfristigen Erhalt tiergenetischer Ressourcen ("Agrobiodiversität") auf breite politische Unterstützung (Kleinhückelkotten et al. 2006; siehe auch BMEL AgrobiodiversitätKongress zur Zucht und Erhaltung alter und bedrohter einheimischer Nutztierrassen - Vorträge Kaninchen siehe ZDRK). Erhaltungszucht von Kaninchenrassen inkludiert auch leistungsbezogene Parameter (siehe z.B. Fruchtbarkeit, Vitalität und Wachstum), und kann die Möglichkeit, bzw. Notwendigkeit einer landwirtschaftlichen Nutzung (Selbstversorgung) mit sich bringen. Im Gegenzug kann Erhaltungszucht zur Reduktion oder Vermeidung kommerzieller Intensivhaltungen beitragen.

Rasseerhalt darf selbstverständlich kein Argument dafür sein, Tierleid in Kauf zu nehmen; eine angemessene Haltung, eine bedarfsgerechte Ernährung und eine möglichst breite Basis an Zuchttieren (siehe Zuchtstrategien) müssen vorausgesetzt werden.


Kennzeichnung von Rassekaninchen

Kaninchenzüchter, die dem Rassezuchtverband österreichischer Kleintierzüchter (RÖK) angehören, dürfen ihre Kaninchen nach dessen Richtlinien mittels Tätowierung kennzeichnen lassen. Die Durchführung übernimmt der Tätowiermeister des jeweiligen Ortsvereins.

Voraussetzungen: 

  • vorliegender Deckschein;
  • die Elterntiere gehören augenscheinlich einer anerkannten Rasse und einem anerkannten Farbschlag an;
  • Anmeldung des Wurfs beim Zuchtbuchführer innerhalb acht Wochen nach der Geburt;
  • die Kennzeichnung muss bis zum Alter von drei Monaten erfolgen. 

Anhand der Tätowierung kann ein Tier zweifelsfrei identifiziert werden. Zudem bestätigt sie eine Rassezugehörigkeit des Kaninchens. Im rechten Ohr der Kaninchen wird das dem Verein zugeteilte Vereinskennzeichen tätowiert, im linken Ohr eine mindestens dreistellige Zahl. Diese Zahl gibt den Geburtsmonat (1 bis 9*), die Endziffer des Geburtsjahrs (z.B. 2 für 2022) und die fortlaufende Zuchtbuchnummer der jeweiligen Rasse an. *Jungtiere von Oktober, November und Dezember werden mit 0 und der Jahreszahl des Folgejahres tätowiert, denn ein Zuchtjahr beginnt am 01. Oktober des Vorjahres. Die Dokumentation tätowierter Tiere erfolgt mittels Vereinszuchtbuch.


Das vorherige Auftragen einer lokal betäubenden Creme (Emla®-Creme) kann akuten Schmerzen während des Tätowierens vorbeugen (etwa 20 Minuten vorher) (Keating et al. 2012).


Zeichenerklärung

1,0 - Rammler
0,1 - Häsin

Neun Wochen altes Jungtier zwei Tage nach dem Tätowieren
Neun Wochen altes Jungtier zwei Tage nach dem Tätowieren
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